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Wilhelm E. Liefland:

Herr Berendt öffnet seinen Plattenschrank - Sein "Fenster aus Jazz": ein blinder Spiegel FR, 26.8.1977

Dieses Jazzbuch ist kein Buch. Wer es als Buch mißversteht, erliegt der Spiegelfechterei des Fischer-Verlags, der da 428 Seiten bedrucktes Papier auf den Markt wirft. Diese Sammlung Berendtscher Albumblätter ist ein zusammengestoppeltes Indiz für die Einmaligkeit des vor Rührung über die Heldentaten des Teufelskerls schon zerfließenden Denkmals JEB. The One and Only packt aus - d.h. er kramt aus seiner Aktentasche alte Aufsätze aus diversen Zeitungen, Zeitschriften, ältere Cover-Texte, ältliche Gelegenheitsreflexionen, Radio-Features - gone in the air.

Hätte Berendt nur eines der zahllosen Kompositionsprinzipien des Jazz analog verstanden, er hätte vielleicht ein Buch" komponieren" können, als sprachliches Äquivalent zu dem, was die Jazz-Musiker seit mehr als 80 Jahren machen. Er hat es einmal gemacht, 1953, 1. Auflage, "Das Jazzbuch". Das ist seine Ehrenrettung. In ihm ist aber der Keim der Unsäglichkeit des Stereo- und Mono-Pol Forschers schon enthalten.

Fenster-Berendts Facettenauge mit dem grauen Starbewußtsein ist auch in editorischer Hinsicht blind. Das Register, das Buch als Sachbuch in die Nähe wissenschaftlicher Benutzbarkeit schiebend, ist derart schlampig und unvollständig, daß es nur dies spiegelt: den müden CakeWalk durch Berendts Bildungsenzyklopädie. Jedes Stichwort aber führt auch nur zufällig zur Sache oder Person, mit Sicherheit aber zum Phänomen JEB, auf jeder Seite im Schnitt zweimal. Das ist die einzige Nachricht von Gewicht in diesem Buch.

Den pluralistischen Musik- und Kulturbetrieb gibt es nicht. JEB legt seine Hand auf fast alle bundesrepublikanischen Kultur-Institutionen und Jazz-Produktionsstätten um. Die, die Musiker und der Rest der Jazzkritiker, der Jazz überhaupt, sollen sich ja nicht einbilden, sie kämen ohne JEB aus. Das geht nicht. Das ist historisch nicht möglich. Das ist wie Radio ohne Strom. Sagt JEB nicht "ich", diktiert ihm seine Bescheidenheit die Aufsplitterung seiner Persönlichkeit in zahlreiche Institutioned: vom Südwestfunk über die Berliner Jazztage über die "Kenner" ("die wissen was ich meine...") über Donaueschingen bis hin zum New Jazz Meeting Baden-Baden. In serieller Anordnung folgt Volker Kriegel, der sich für Brasilien interessiert. Und daran war nur eine Tournee des GoetheInstituts alias JEB schuld.

Gibt es denn niemanden, der JEB endlich einmal würdigt? Muß JEB das denn zu allem anderen auch noch selber machen!! - Nicht genug aber, daß die Öffentlichkeit erfolgreich massiert ist mit der nicht zu überbietenden Kompetenz des Jazz-Mannes, er muß sich noch zusätzlich legitimieren - die übelste Angelegenheit des Buches: um über die "Neue Faschistoidität in Jazz, Rock und überall" schreiben zu können, der indiskutabelste Bluterguß an diesem Buch, borgt er sich seinen Vater, den Pfarrer Berendt, der im KZ Dachau (wie in der Widmung steht) von den Nazis ermordet wurde, um sich, sich selbst in die Reihen des aktiven Widerstands einreibend, als kompetent auch in Sachen Faschismus auszuweisen. Das ist nämlich für Berendt in diesem Artikel sachlich, ideologisch und ästhetisch Glatteis. Und er legitimiert sich extra muros wohl nur deshalb, weil er seinen obskuren Schönheitsbegriff bezüglich so mancher Jazz-Rock-Seife ungefährdet retten will.

Spätestens hier kriegt man ganz unsiblimiert die Wut. Geliehene Leiden, Berendt, taugen nicht zur Bürgschaft für windige Thesen. Selbst 6 Jahre im Psychoknast, dem Seelen-KZ, bedanke ich mich höflichst für Deine ausgeflippten Scheinschmerzen.

Hier verschieben sich die Proportionen des Buches. Der Ton ist verlogen, greinend, autoritär schnarrend, schmalzend in den Skalen (Modi) von Liebe, Humanität, Toleranz, Liebe und noch mal Liebe. Marxistische Ansätze in der Jazz-Ästhetik werden - unverstanden - verächtlich beiseite getreten. Die Folgen der politischen sechziger Jahre werden im Ernst nicht beachtet.

Free Jazz ist eine weitere Trophäe, die sich Berendt in seinen profitablen magischen Zirkel zerrt. Zu der Entwicklung der Musiker-Cooperativen, die mit dem Free Jazz einsetzt, und die ihren Grund in der Monopol- und Kapitalismuskritik hatten, heißt es nur: ein paar Musiker hätten jetzt ihre Platten auf privaten Labels veröffentlicht. Die Profitpraxis des "Chef"-Produzenten des deutschen Jazz in der Zusammenarbeit mit den Musikern war und ist den Musikern bis heute nicht geheuer. Es gibt kaum Informationen von den Musikern, denn sie würden als einzelne in letzter Instanz, vor Gericht, keine Chance haben. Berendt hat dafür gesorgt, daß er als Rechtspersonen immer potente Institutionen im Rücken hat. So endete auch eine Klage als Vergleich, die Manfred Eicher, Chef der (kleinen) Jazz-Firma ECM, gegen Berendt und S. Fischer angestrengt hatte, da er falsch dargestellt war. Das Buch ist jetzt teilweise mit einer Neufassung des betreffenden Passus im Handel. Berendt selbst leitet das JazzBusiness von der US-Mafia der zwanziger Jahre her. An anderer Stelle kaschiert er mit den Rest-Theologoumena eines wohlerzogenen Pastorensohns: "... dienen, den Musikern helfen, dienen..." Als Alibi dienen ihm Attacken gegen Norman Granz, der Charlie Parker ausgenommen hat.

Berendt, bei Deinem Anspruch müssen die Bilanzen auf den Tisch. Es gibt keine Solidarität der Pastorensöhne. Ansonsten kannst Du so viel verdienen, wie Du willst. Über Jazz erfährt man in diesem Buch, wie er in Berendts Arbeitszimmer zu teurem Nippes verkam. Die diskographischen Angaben sind folglich exzellent.