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Berendt, Moderne Naturwissenschaft und Musik

Realtivitätstheorie: Zeit-Raum-Kontinuum. Es gibt 4 gleichberechtigte Dimensionen (3 x Raum und 1 x Zeit). In der Musik wird die Zeit verräumlicht. Die Zeit steht still, wird umkehrbar und kann rückwärts laufen. "Wie sich für die Physik Materie in Rhythmus auflöst, so löst sich für den Jazz die Musik in Rhythmus auf".
E = mc² - Materie kann sich in Energie "auflösen", Energie kann zu Materie "gerinnen". In der Musik ist Energie = Schallenergie und psychische Energie. Die musikalische Energie ist materiell und immateriell.
Unschärferelation: Auflösung der Subjekt-Objekt-Trennung. Je genauer man hinsieht, umso mehr entzieht sich einem das Betrachtete. Problem der musikalischen Analyse und des "analytischen" Verstehens von Musik. Kritik der sezierenden Musikwissenschaft.
Welle-Korpuskel-Dualismus. Konstruktivismus: die Realität erscheint so, wie man sie betrachtet (Licht als Welle und Quantum, Materie als Teilchen und Welle). Das "Betrachten" ist durch das jeweilige Experiment bestimmt. Verstehen von Musik ist eine "Konstruktion". Musik bedeutet Unterschiedliches je nachdem, wie man sie "betrachtet".
Aufhebung von Entweder-Oder zugunsten von Sowohl-Als Auch (Welle-Korpuskel). "Mehr als irgendeine andere Kunst gehört Jazz in eine Welt des "Sowohl-Als Auch", des "Nicht nur-Sondern auch"".
Gestaltheoretischer Konstruktivismus: die Wahrnehmung strukturiert nach "Gestalten". Gestalten als Elementareinheiten der Musik-(wahrnehmung).
Unterscheidung von gelebter und gemessener Zeit. Uhren gehen in bewegten Bezugssystemen anders. Stockhausen: "...wie die Zeit vergeht". Die Erlebniszeit ist eine andere als die "objektive" Zeit.
Holografie: es gibt keine Teilung, die das Ganze "zerteilt". Jedes Teil enthält das Ganze. Modell kann auch ein Vogel- oder Fischschwarm sein, der kein Leittier hat. Kompositionen können "holografisch" sein. Ein "Organismus" als Werk ist nicht in isolierte Stücke aufteilbar. Die einzelnen Teile werden zu einem "Gesamt-Lebewesen".
Ein Kontinuum wird gequantelt, in Stufen durchlaufen. Auch Eigenschwingungen von Saiten, Rohren, Körpern etc. Die Obertonreihe (die harmonikale Zahlenabfolge) entsteht auch bei kontinuierlichem Durchschreiten von Formanten u.a.
"Resonanz" als die Synchronisation komplexer Systeme, die miteinander kommunizieren. Als Beispiele: Gruppenimprovisation, Arbeit eines Sinfonieorchesters. "In der Musik wird das Wunder der rhythmischen Resonanz offensichtlich."
Umschlag von Quantität in Qualität (Chaostheorie), "Spontanvorgänge". Ein bekannter musikalischer Vorgang: kontinuierliche Steigerung mit plötzlichem Umschlag - Spontaneität.
Intensität nicht nur als quantitativer, sondern auch als qualitativer Begriff. "Intensität" als ein Wesensmerkmal von Jazz (und guter Musik überhaupt).

 

Das, was uns eben noch als das Unerschütterlichste und Gesichertste erschien, ist illusorisch geworden - Zeit und Stoff. Dafür wurde uns eine neue, um so sicherere Erkenntnis geschenkt - und ich gebrauche mit Absicht die Formulierung: sie wurde uns "geschenkt": Kosmos und Erde, Anorganisches und Organisches, Pflanzen und Tiere und Menschen sind Schwingung, und Schwingung ist Klang.

Das alte Koan lautete: "Wenn du auslöschst Sinn und Ton - was hörst du dann?"

Jetzt können wir dieses Koan variieren: "Wenn du auslöschst Zeit und Stoff - was hörst du dann?"

Das ist die eigentliche Frage, um die es geht, und es ist besser, sie als Koan zu lösen, als die Lösung von theoretischen Erwägungen zu erwarten. Was auf diesen Seiten geschehen kann, ist nicht mehr, als die Frage bewußt zu machen, einen Anstoß zu geben.

(Nada Brahma, S. 143-144.)