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Sven Köhler

Neue Musik im handlungsorientierten Musikunterricht?

Problemstellung
Die „Neue Musik“ ist einerseits schwer zu vermitteln und andererseits stößt auch die didaktische „Wunderwaffe“ der Handlungsorientierung an ihre Grenzen. Gibt es in der Fülle von Unterrichtsvorschlägen zur Neuen Musik auch handlungsorientierte? Wie sehen diese gegebenenfalls aus? Eignet sich jede Art Neuer Musik? Kann die Handlungsorientierung Wesentliches über Neue Musik „vermitteln“? Wenn ja, was bzw. was nicht? Und schließlich steht die Frage im Raum, ob die Vermittlungsprobleme Neuer Musik eher inhaltlicher oder methodischer Art sind. 

Untersuchungsansatz
Im ersten Kapitel werden zunächst die empirischen Untersuchungen zur Abneigung Jugendlicher gegenüber Neuer Musik referiert und sodann „Ursachenforschung“ betrieben. Einerseits werden Eigentümlichkeiten Neuer Musik benannt, die Rezeption bzw. Akzeptanz generell erschweren. Sodann werden spezielle Ursachen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen erörtert. Hier wird sehr stark auf den Einfluss der Medien und die Bedeutung der Hörgewohnheiten im Rahmen jugendkultureller Orientierung abgehoben. Die Gegenüberstellung Neue Musik und jugendkulturelle Musik schließt diese Erörterung ab. Es fällt auf, dass die meisten Vermittlungsprobleme, wie sie hier zusammengefasst sind, nicht allein für Jugendliche und Kinder, sondern genauso für Erwachsene gelten und somit kein spezifisch jugendkulturelles Phänomen sind. - Im zweiten Kapitel wird das Kriterienraster für die eigentlichen Untersuchungen im 3. Kapitel hergeleitet. Bezugspunkt ist sind die "Didaktischen Modelle" von Hilbert Meyer/Werner Jank. In Kapitel 3 erfolgt die Analyse von 7 Beispiele aus insgesamt 74 in Betracht gezogenen Unterrichtsvorschlägen aus „Musik und Bildung“ auf 1995-2005 . 

Ergebnisse
Meist wird die Handlungsorientierung nur als Einstieg und Motivation, weniger als gesamter Verstehensprozess oder als eine Methode in einem umfassenderen Rahmen durchgeführt. Daher bleibt auch die Frage offen, wie weit die Handlungsorientierung an die Neue Musik heranführt, ob sie an wichtigen Merkmalen vorbeizielt, ob sie „das Wesen“ trifft und/oder ob sie sie sogar komplett missversteht. Der Nutzen der Handlungsorientierung erscheint daher hier ausschließlich unter der Maxime „Neue Musik gerettet!“, egal wie und was. - Ein zweites Problem ergibt sich aus einem oft vereinfachten Begriff von Schülerinteresse. Pädagogisch relevant sind nicht nur die allgemeinen Interessen (an etwas Apartem, an Entdeckung, an Schock, an Kultur, ja überhaupt an Kunstmusik), sondern auch konkrete Interessen an einer ganz bestimmten Sachen (wie Tonbandtechnik, Spiel mit Strukturen, szenischer Darstellung, Sprachexperiment). Die erst genannten Interessen sind diejenigen, die der Musiklehrer nur bedingt wecken und entwickeln kann, die er also überwiegend vorfindet und berücksichtigen muss. Die zuletzt genannten Interessen können durch geeignete didaktische Maßnahmen erzeugt und entwickelt werden. Die allgemeinen Interessen kommen in den untersuchten Ansätzen kaum vor. Dabei wäre dies eigentlich das Wesentliche am Musikunterricht überhaupt, ein begrenztes, konkretes Interesse an einer Sache, einer Handlung oder einem Erlebnis zu erzeugen, um den Schülern die Gelegenheit zu geben, daraus ein allgemeines Interesse an Musik, an Kunstmusik, an Neuer Musik zu entwickeln. Für diesen Prozess könnte der Musiklehrer nur die Grundlage legen, der Schüler müsste letztendlich selbst aktiv werden. Die Vorstellung „Neue Musik vermitteln“ träfe dann nicht mehr und wäre zu ersetzen durch die Vorstellung, dass der Musiklehrer dafür sorgt, dass der Schüler nicht aus Unkenntnis seine „Chance“ verpasst. 

Die untersuchten Musikbeispiele sind:

  1. Musique concrète - "Musik des Alltags. Ein Bandschleifenlasso" (Ch. Wallbaum), Musik & Bildung 6/1998.

  2. Minimal Music - "Spielerische Annäherung an das Prinzip der Phasenverschiebung" (O. Nimczik), Musik & Bildung 2/2000.

  3. Atemgedicht von Rühm und Wollhauser - "Improvisation mit Atem und Stimme" (W. Rüdiger), Musik & Bildung 3/1998.

  4. "Stripsody" von Cathy Berberian - "Klingende Comics" (L. Oberhaus), Musik & Bildung 3/2004.

  5. "Der 35. Mai" von Violeta Dinescu - "Es muss nicht immer der Freischütz sein" (G. Ammer), Musik & Bildung 2/2003.

  6. "Improvisierte Musik als Modell für Klanggestaltung" (W.-D. Trüstedt/V. Müller), Musik & Bildung 5/2001.

  7. "Radiomusiken" von Cage, Globokar und Henry (O. Nimczik), Musik & Bildung 1/1999.

Info: Sven Köhler.