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Wolfgang Martin Stroh (Oldenburg)

Das Oldenburger TechnoMuseum und die Methode des „künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens"

1. Was ist das Oldenburger TechnoMuseum?

Seit 1978 veranstalte ich regelmäßig Übungen, in denen in die Handhabung analoger Synthesizer eingeführt wird. Aus Gründen der Motivation und Aktualisierung des zunehmend antiquierten Stoffes habe ich Ende der 80er Jahre begeonnen, analoge Synthesizer über Midi-to-CV-Converter auch von Computern aus anzusteuern und so die analogen Instrumente in einen „Groove" einzubinden. Nachdem im Lauf der 90er Jahre die experimentelle Techno-Szene dies Verfahren einzusetzen begann, lag die Idee nahe, ein Synthesizerorchester zu gründen, das ausschließlich analoge Instrumente verwendet, diese aber alle punktgenau durch einen Computer synchronisiert sind. Die hierbei entstehende Musik war so vital, daß sich aus den Uni-Kursen schnell kleine und größere Rave-Parties ergaben. So entstand das Oldenburger TechnoMuseum.

TECHNIK (siehe Anhang 1):

Die GrooveBox RaveOLution von Quasimidi erzeugt das Schlagzeug und den Baß. Ferner sendet sie Midi-Sync-Signale an den Computer.
Der Computer verwendet Cubase, das der GrooveBox synchron folgt. Cubase enthält bis zu 24 Spuren, die ausschließlich Midi-Signale zwecks Umwandlung in Triggerimpulse für die analogen Synthesizer enthalten. Cubase erzeugt selbst keinerlei Klänge.
Die Umwandlung selbst geschieht in einem Midi-to-CV-Converter. Dieses Gerät sendet, angeregt durch die Midi-Daten von Cubase, bis zu 24 Triggerspan-nungen (von +/- 5 oder 10 Volt - je nach Synthesizer-system) an die Synthis. Jeder Synthi hat seinen eige-nen Lautsprecher, wird also von den Spielerinnen und Spielern nach Gehör gesteuert. Die midifizierte Stroboskopanlage wird von einer weiteren Cubase-Spur gesteuert und kann komponierte Lichtmuster erzeugen.

MUSIK:

Alle Synthi-SpielerInnen können ganz frei spielen oder sich an den „Groove“ anklinken, wobei jeder Synthi ein eigenes (zuvor komponier-tes) Pattern bekommen kann. Die Klangkontrolle läuft wie bei jedem akustischen Zusammenspiel über das Ohr, es gibt kein zentrales Mischpult und keinen Mixer-King (à la Stock-hausen). Der Wechsel zwischen avantgardistisch-freier Klangimprovi-sation und striktem Techno ist flexibel handhabbar und vom jeweiligen Spielkonzept abhängig. Jeweils eine Person zeichnet für ein solches Kon-zept verantwortlich und leitet es auch mittels vorheriger Absprachen, ak-tuellen Gesten, Lichtzeichen oder durch Mausklick.

 

2. Was ist ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben?

Stichworte zur Terminologie: 1974 Gründung von „Musikhochschulen an Unis" und Bestrebungen von MHS’n wissenschaftlicher zu werden (Promotionsrecht, Professuren mit Forschungsauftrag). Die Entstehung des Phänomens „künstlerisch-wissenschaftliche Hochschulen und Studiengänge". Der Terminus „künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben" entstand aus taktischer Analogiebildung.

Gegenstand eines künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens ist die musikalische Tätigkeit von Menschen oder Gruppen. Ein solches Vorhaben steht zwischen traditioneller Feldforschung und experimenteller Laborforschung. Es wird ein künstlerisches Experiment in einem Feld (d.h. in der „Wirklichkeit" des Musikbetriebs) durchgeführt. Im Gegensatz zum Laborexperiment hat dies Experiment Ernstfallcharakter. Und im Gegensatz zur Fedlforschung wird das zu beforschende Feld (die musikalische Tätigkeit) durch das künstlerische Experiment verändert. Es wird untersucht, wie das Feld auf ungewöhnliche Bedingungen reagiert. Es wird nicht vesucht, den „Alltag" zu erforschen.

Die jedem Experiment eigene Unschärferelation, derzufolge der Forscher den Forschungsgegenstand umso mehr verändert je „exakter" seine Forschung ist, wird zum Forschungsprogramm gemacht. Der Forschungsgegenstand (die musikalische Tätigkeit) wird im Hinblick auf seine Veränderbarkeit und nicht statisch untersucht.

Ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben beginnt mit einer künstlerischen, pädagogischen oder politischen Idee und einem daraus entwickelten künstlerischen Anfangsprojekt. Die Forschungsfrage entwickelt sich erst während dieses Projekts. Im weiteren Verlauf wird das künstlerische Projekt zu einem Forschungsvorhaben.

Finanzierungsbeispiele:
„Kindercombo“: bis zu 4 Lehrkräf-te (studentische Hilfskräfte) wur-den von den Eltern der Kinder bezahlt.
Brain & Body“: 36 Konzerte zu je durchschnittlich 1000 DM Honorar. Geld wurde für die Unkosten und die Investitionen in die interaktive Computertechnologie und die mi-difizierte Lichtanlage verwendet.
MIDI-Planetarium“: 77 Geburtsho-roskopvertonungen zu je 100 bis 800 DM. Wurde für den Ausbau des twiskenstudios oldenburg verwendet.

"Erstes improvisierendes Streichorchester" finanziert sich aus Konzerten und Spenden (gemeinnütziger Verein).

Das Vorhaben existiert nicht, weil irgend jemand die Forschungsfrage gut und unterstützenswert findet, sondern weil sich das künstlerische Projekt auf dem Musikmarkt und in der jeweiligen Szene durchsetzt. Daher gilt ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsvorhaben bei traditionellen Geldgebern (DFG, Volkswagenstiftung etc.) und bei Traditionsverbänden (DGMPsy, Gesellschaft für Musikforschung) als unseriös. Dies umso mehr, als die über die üblichen universtären Ressourcen hinausgehenden „Forschungsmittel" in aller Regel aus den Einnahmen des künstlerischen Projekts bestehen.

Enstanden ist die Methode des künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens in Anlehnung an Hartmut von Hentigs Forschungsansatz, wie er sich in den Schulprojekten der Universität Bielefeld verwirklichte. 1973-1978 war ich dort Lehrer und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Curriculumentwickler, Erprober und Evaluator.

Bilang habe ich 7 künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben durchgeführt, 3 sind abgeschlossen, über weitere zwei ist weitgehend „abschließend" berichtet worden, drei Vorhaben sind noch am Laufen. Die Tabelle in Anhang 2 gibt einen Eindruck von Idee/Projektanfang/Forschungsfrage und -ergebnis dieser Vorhaben.

Ohne explizite Absichten sind alle Projekte irgendwo zwischen Popmusik und Avantgarde angesiedelt. Die meisten thematisieren ein Popmusik-Phänomen und betreiben das „Experiment" dann nach den Gepflogenheiten der Avantgarde. Es ist ein Grundzug aller Vorhaben, daß der Forschungscharakter des künstlerischen Settings einhergeht mit dem experimentellen und somit dem eher avantgardistischen Charakter des musikalischen Teils. Alle Vorhaben zeigen, daß und wie ein Phänomen der Popmusik künstlerisch radikalisiert und dadurch an die Grenzen von „Popularität" getrieben werden kann. Das Publikum aller künstlerischen Events (es sind 233 seit Dezember 1978), die im Zusammenhang der Projekte stattfanden, kann aus dem populären und dem kunstmusikalischen Bereich stammen, oft gehört es einer charakteristischen Teilkultur an, die keinem der Bereiche zuzuordnen ist („minmal music", Eso, Gruppenimprovisation/Free Jazz, Performancekunst etc.)

 

3. Das Oldenburger TechnoMuseum auf dem Weg zu einem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhaben

Das Projekt TechnoMuseum befindet sich derzeit auf dem Wege zu einem künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhaben. Es läuft als hochschuldidaktisches Konzept und als öffentliches Event. Außer einer Dokumentation und einigen künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Projekt in Form von Videoclips und Filmen sowie dem Ansatz einer CD-Produktion gibt es noch keine Evaluations-Aktivitäten. Ich skizziere kurz, wie ich im jetzigen Stadium die Ansatzpunkte für Forschungsfragen sehe. Die Techno-Szene hat drei musikhistorisch relevante Merkmale:

(1) Die musikalische Aufwertung des Computers als Musikinstrument: Die Verwendung des Computers als Musikinstrument in Techno ist grundlegend verschieden von der alltäglichen Verwendung im Produktionsstudio oder „zu Hause". Folgerung: die Entdeckung der musikalischen Eigenheit historischer („analoger") Instrumente. Dies beinhaltet eine produktive Kritik am Fortschritts-Fetischismus der Musikelektronikindustrie, demzufolge jedes neue Modell alle alten (vorigen) „überholt".

(2) Das Scratch- und Sampling-Musizieren: Die Sampling- und Scratch-Musizierweise erwähne ich hier nur der Vollständigkeit halber, sie spielt im TechnoMuseum keine Rolle und gehört zur DJ- und Rave-Szene im weiteren Sinne, weniger zur harten Technoszene im Sinne „elektronischer Musik".

(3) Eine charakteristische Interaktion zwischen Publikum und MusikerIn: Grundcharakteristikum sowohl der rein-elektronischen als auch der Scratch-Variante von Techno ist der technisch omnipotente Alleinunterhalter. Herkömmliches und für die Rockmusik charakteristisches Zusammenspiel in einer Gruppe ist ersetzt durch das ritualisierte „Zusammenspiel" von DJ und Publikum. Die hierfür notwendige „Kunstfertigkeit" und Sensibilität des DJ’s ist groß und wird von Verteidigern der Technoszene gerne hervorgehoben. Musterexemplare solcher DJ’s habe ich 1999 gleich auf drei Fachtagungen oder Fortbildungsveranstaltungen erlebt.

Die Polarisierung von Techno in Rave- und Elektronik-Szene wird einerseits durch populistische Live-Auftritte von Größen wie Westbam, van Dyk, Takky Ishino oder Spoon auf der Love-Parade aufgehoben, gleichzeitig aber durch eine Neo-Avantgarde vertieft. Letztere artikulierte sich im SPIEGEL dieser Woche:

„Gipfeltreffen der Szene im Berliner Club SO36. ‘Elektroniksalon’ nennt sich die Party, das Motto lautet ‘The social dimension of isolation’. Autistische laptop-Klänge sind nach 10 Jahren des Live-Musizierens eine logische Entwicklung... Getanzt werden soll nicht im Elektroniksalon, interessiertes Zuhören genügt. Eingeflogene (gesampelte) Herzschläge des Musikers und Atemgeräusche sind angenehmer als ‘schweißtriefende Menschen auf der Tanzfläche’“ (SPIEGEL 18/2000, S. 125).

Das Oldenburger TechnoMuseum propagiert in diesem Kontext die Aufhebung von Polarisationstendenzen. Dies kann in folgenden Thesen zusammengefaßt werden:

Im TechnoMuseum

Angesichts solcher Thesen wäre die wissenschaftliche Aufgabe nicht nur die Verifizierung dieser Thesen, sondern auch die Beantwortung folgender Fragen:

 

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4. Folgerungen für die Methodendiskussion in der Popularmusikforschung

Das Konzept hat im Rahmen der Popularmusikforschung folgende besonderen Merkmale und Vorzüge:

Wichtige Zusatzaspekte:

Bezug zu Popularmusikforschung:

Daß der Focus auf die musikalische Tätigkeit und nicht auf die „Musik als Objekt" gerichtet ist, entspricht einem Konsens der Popularmusikforschung. Die Untersuchung ist insofern „kritisch", als sie das Popularmusik-Feld verändert, indem sie zeigt, daß „es" auch anders geht. Die Kritik ist dabei „konstruktiv" im Gegensatz zur „destruktiv kritischen Sichtweise", die letztendlich das Phänomen hilflos rechthaberisch verdammt - so geschehen im Falle von „Weltmusik", „New Age Musik", „Schulpop" und eben auch „Techno".

Künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben greifen viele Erkenntnisse und Paradigmen der Popularmusikforschung auf, sind allerdings mit einer festen Grenzziehung zwischen Popular- und Nichtpopularmusik nicht verträglich. Ihr wesentliches „experimentelles" Elixier sind Erkenntnisse, die in der Aufhebbarkeit dieser Grenzen beschlossen sind. Insofern ist die Methode des künsterlisch-wissenschaftlichen Forschungsvorhabens keine genuine Methode von Popularmusikforschung - und ist das Oldenburger TechnoMuseum auch keine Institution der Popularmusik.