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„Klezmermusik“ in den USA bis 1970
 

„Wenn Du mich vor 35 Jahren einen ‘Klezmorim’ genannt hättest, dann hätte ich Dir eine runter gehauen“, sagt Max Epstein 1991.

Migration osteuropäischer Juden nach den USA

bis 1870 überwiegend aus Deutschland stammende Juden, relativ gut etabliert. New York 1860: 40 000 Juden, 141 wholesale firms. Zwischen 1870 und 1880 wandern 30 000 Ostjuden ein.

Ursachen in Osteuropa Diverse Judenverfolgungswellen (1881 Progrome unter Alexander II), zusätzlich wegen Industrialisierung Verarmung. In Rußland dürfen Juden auswandern, nachdem ihre gesamte Habe konfisziert ist.

Migration 1880-1924 75% der Einwanderer aus Rußland, 18% aus Österr.Ungarn, 4% Rumänien. Sehr jung, 64% skilled workers (gegenüber 20% bei sonstigen Einwanderern). 80er: 200 000. 90er: 300 000. Insgesamt 2 Mio. 70% bleiben in New York: als billigstes Arbeitsvolk der New Yorker Be-kleidungsindustrie. Soziales Gefälle zu den alteingesessenen Juden, das sich gegen 1924 nivelliert hat. - Lower East Side: 326 Synagogen („landsleit“), 1000 „landmanschaftn“. 1917: 7 Spielstätten für Yiddish Theatre. Die Zweite Generation propagiert „Amerikanisierung“. - Jüdische Musiker bedienten die traditionellen Musikbedürfnisse (Hochzeiten etc.), beteiligten sich am hersrchenden Musikbetrieb (Swing, Theater, Film usf.) und schufen neue U-Musik-Formen („Yiddish American Jazz“, Yiddish Musical Theatre etc.). Anfang des Jhds „Sher“ populär, dann „Bulgar“, als charakteristisch für „jiddisch“ galt „Doina“.

Migration 1924-1945  Ab 1924 rigide Einwanderungsbegrenzung. Auch „Nazi-Flüchtlinge“ wurden nicht in die USA gelassen („Lousianna“ wurde 1939 zurückgeschickt). Ab 1944 Aufnahme von Holo-caust-Flüchtlingen mit der Auflage, nach dem Krieg das Land wieder zu verlassen. 1935-41 kamen 150 000 Juden ins „Fourth Reich“, meist Menschen, die von den USA gebraucht wurden (selten arme Ostjuden). 30er: nur noch 35% in Industrie tätig, 34% im Handel, 11% in höheren Berufen. Quoten an Unis, Anti-Semitismus, pazifistischer Vorwurf „Kriegstreiberei“. - 40er die trad. Formen Bulgar, Frey-lekhs und Shers verschwinden. Die Pflege jiddischer Kultur, der Nachbarschaften und Vereine ersetzt den religiösen Zusammenhalt. Klagen über „Verlust jüdischer Identität. Juden beherrschen Filmindu-strie und Musical-Sektor.

Migration nach 1945 1945 gibt es 5 Mio. Juden in USA, 2 Mio. in New York. Diese Zahl bleibt, sodaß der Anteil von 3,7% auf 2,7% (1978) sinkt. Einwanderer sind Holocaust-Überlebende. Darunter eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Chassidims. Diese dominierten ab 1950 das religiöse Leben und den jiddischen Musikbetrieb. Starke Amerikanisierung hat Effekte: Auflösung der Nachbarschaftsbezie-hungen, Zunahme der Bedeutung trad. Synagoge und Religion, Teile der Juden definieren sich über Israel/Zionismus, neben Schulpflicht gibt es ein jüdisches Erziehungswesen (für 72%der Jugendli-chen).
 

Bemerkung zur Forschung „Immigranten-Kulturern in den USA“ und deren Thesen und Modelle

Allgemeines zur multikulturellen Gesellschaft in den USA
„Jews“ gelten in USA als „ethnische Gruppe“, in Einwandererstatistiken erscheinen aber die Her-kunftsländer (Rußland, Polen etc.).  - New York 1900: 37% im Ausland geboren, 40% Zweite Gene-raion. New York 1920: 35% im Ausland geboren, 41% Zweite Generation. New York 1960: 19% im Ausland geboren, 28% Zweite Generation

Barbara Kirschblatt jüdische „Immigranten-Kultur“:
· Pflege der mitgebrachten Folklore (üblicher Traditionalismus),
· Entwicklung einer aus der neuen Lebenssituation entstehenden Folklore,
· „folklore of ethnicity“: eine Folklore, die bewußt Bikulturalität darstellt,
· Folklore und Traditionalismus als Rekonstruktion.

Theorien von Mark Slobin zur Jüdischen Musik in USA:
· im Gegensatz zu anderen Immigrantenkulturen ist jiddische Musik schon vorher eklektizistisch,
· „Doina“ als Zeichen von Kontinuität,
· Brüche: Instrumente, Funktionen von Musik,
· Rolle von Leitfiguren groß,
· Bedeutung des Jazz (Ähnlichkeiten!) und des Folklore-Revivals,
· enge Verbindungen zur klassischen Musik.
 

Jüdische Kultur und Musik in USA im 20. Jahrhundert bis 1970

Terminologie: Jewish Music (Theater), Yiddish Music (Theater), Klezmer(music),
· Jüdische traditionelle Musik, Liedersammlungen und Traditionspflege,
· Jüdische Unterhaltungsmusik, Jazz,
· Jüdisches Musiktheater (Hörbeispiel Zalmen Mlotek „The Golden Age of Yiddish Theater“, 1992 Berlin).
 
 

Ausgewählte Lebensgeschichten:

Abe Schwartz - Kunst-Volksmusiker, Exot und Komponist
 1880 in Rumänien geb., ca. 1900 emigriert. 1917-38 über 50 Schallplatten mit Balkan-Musik. Leitet Qualitäts-Bands, engagiert u.a. Brandwein, Tarras, komponiert für das Jiddische Theater (Hit „Di grine Kusine“, 1917). Spielte bis 1949.  - Hörbeispiel: „Nationale Hora“, 1920.

Naftule Brandwein - Volksmusiker mit Gefühl, fürs Business nur bedingt braucbar
1889 in der Nähe von Lemberg geb., Familie „Klezmer-Dynastie“. 1913 in New York, bald  „King of Jewish Music“. Konnte nicht in den (lukrativeren) Jüdischen Theatern mitspielen, weil er „nur nach Gefühl spielen“ konnte. Viele heute bekannte Klezmer-Stücke hat er überliefert. -
 Hörbeispiel „Doina“ aus dem Jahr 1922.  Fand nach 2. Weltkrieg schnell Kontakt zum chassid. Mu-sikbetrieb.

Dave Tarras - Späteinwanderer mit solidem Background trotz vollem US-Engagement
 „Vater der jiddisch-amerikanischen Klezmermusik“. In Ternovka (Ukraine) 1897 geb., Vater war „badkhn“. David spielt in Familien-kapeley. 1921 nach New York. 1923 Yiddish-American Jazz Band (Nachfolger von Brandwein. Spielt solistisch in „Russian Sessions. „Bay mir bistu sheyn“ macht Tarras 1938 zum Hit. Im Krieg Dienst mit „Yiddish Melodies in Swing“. Spielt 1959 im Astor-Hotel in New York mit Pete Sokolow. Kann sich mit Chassidischen Parties nicht anfreunden, ist in den 70ern „Traditionalist“. 1978 veranstalten Klezmer-Revialisten (Statman, Feldman u.a.) ein Konzert mit Tar-ras. 1979 macht das „Balkan Art’s Centre“ die letzte Aufnahme. 1984 „National Heritage Folklife Award“. - Hörbeispiel: „The Bridegroom Special“ 1940 im Radio mit dem Yiddish Swing Orchestra.
 

The Epstein Brothers - Zweite Generation - geraten verspätet in den Revivalstrudel
 Max Epstein, 1912 in New York geb. (Lower East Side), Vater arbeitet „sweat shops“, war aus Pinsk eingewandert. Max spielt in Stummfilmen, in rumänisch-jüdischen Restaurants Klarinette und Saxophon, auf  Festen der „landsmanshaften“, im jiddisch-sprachigen Radio und im Jiddischen Theater. Engagements bei Warner Brothers. Überwiegend „club dates“. Mit seinen Brüdern zusam-men spielte er nach dem 2. Weltkrieg im „chassidischen Musikgeschäft“ in Brooklyn. 70er: zieht mit seinen Brüdern nach Florida, wo sie heute noch in Hotels und Altenheimen jiddische Operrettenme-lodien und Jazz-Standards spielen. Das Klezmer-Revival haben sie nicht bemerkt. In den 90ern ent-deckte sie Klezmer-Bewegung. (Hörbeispiel Auftritt 1992 in Berlin mit „Russian Sher/Epstein Nign“.)

Situation unmittelbar vor dem Klezmer-Revival

· Soziale und kulturelle Unterschiede der Juden aus den 3 Einwandererwellen,
· Zweite und Dritte Generation der frühen Einwandererwellen,
· Studentenbewegung, politische Kritik an Israel,
· „Weltliche“ und „amerikanische“ (nicht-zionistische) Identitätssuche,
· Nach-Holocaust-Verhalten („Walser-Syndrom“).
 

Das YIVO (Institute for Jewish Research, New York)

1925 wird in Berlin und Wilna das „Yiddish Visnshaftlekher Institut“ mit Sitz in Wilna gegründet.
1940 wird der Hauptsitz nach New York verlagert. 1941 deportieren die Nazis Teile des Materials nach Frankfurt/Main, Teile werden von Mitarbeitern des Instituts versteckt.
1947 werden die Frankfurter Materialien entdeckt und nach USA transportiert.
1973 schreibt Max Weinreich am YIVO das Standardwerk „Die Geshikhte fun der yidisher shprakh“.
1989 werden Materialien des Wilnaer YIVO in Lithauen entdeckt, 1995 nach New York transportiert.
YIVO 1999 = Zentrum für „Eastern European Jewish Studies“,  Archiv mit 350 000 Büchern und 20 Mio. Dokumenten (weitgehend unerschlossen). Frühjahr 1999 Umzug in einen Komplex mit den 4 weltgrößten Forschungseinrichtungen zur Jüdischen Kultur undGeschichte (15 West 16th Street).