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  Interkulturelle Musikerziehung: Lateinamerika (2002)- Blatt 8

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Ziel der Stunde: Was hat "Lateinamerika" im schülerorientierten Musikunterricht eigentlich zu suchen?

Allgemeine in der Diskussion um "Schülerorientierung"

L hat das Thema "Musik Lateinamerikas" gewählt (eventuell das Unterthema: "Karneval in Brasilien"). Worauf kann sich dann Schülerorientierung beziehen?

(1) Die Themenwahl selbst: L ist der Meinung, dass es objektiv für S wichtig und bedeutsam ist, im Musikunterricht Lateinamerika zu behandeln. In unserem Fall ist Lateinamerika ein musikalisch bedeutsamer und charakteristischer Teil der Welt, die Auseinandersetzung damit also ein Teil von "Welterfahrung".

(2) Die Ziele, die anhand des Themas verfolgt werden können und deren Erreichen für die S wichtig (bedeutsam) ist. In unserem Fall handelt es sich um die Ziele interkultureller Musikerziehung. Am allgemeinsten ausgedrückt: Handlungskompetenz in der multikulturellen BRD und für eine globaler werden Welt. - Spezielle Ziele: siehe Rückseite anlässlich der "Ordnungskriterien".

(3) Die Methode, mit der das Thema behandelt wird und/oder die Ziele verfolgt werden. Hierzu kann man sich folgende Fragen stellen:

  • Was wissen S vom Unterrichtsgegenstad?
  • Welche Vorerfahrungen haben sie gemacht?
  • Was interessiert sie am Gegenstand (was wollen sie wissen)?
  • Welche Interessen lassen sich weiter entwickeln?
  • Wie verhelfe ich ("verborgenen") Interessen zur Artikulation?
  • Woran erkenne ich überhaupt Interesse?

Die Beantwortung dieser Fragen geschieht in einem "kreisförmigen" Prozeß. Das heißt, man kann nicht am Anfang Interessen und Wissen "abfragen", weil noch zu wenig Kenntnis vom Thema vorhanden ist und die "Artikulationsfähigkeit" fehlt. Also muß eine "Initialzüdung" inszeniert werden, anhand deren die S Teile der o.g. Fragen "beantworten". (Die einfachste und am meisten verbreitete Initiatlzündung ist, etwas praktisch zu machen und abzuwarten, ob und wie die S mitmachen...). Die anfänglichen Schüleraktivitäten werden von der LehrerIn interpretiert und zum Anlass weiterer "Angebote" genommen usw.


 Wir haben die folgende "Formel" für die Grundschule diskutiert:

 

Ich möchte als LehrerIn die diffusen Vorstellungen und Informationsbruchstücke der SchülerInnen über/von Lateinamerika bzw. der Musik Lateinamerikas ordnen.

Daraus folgt einerseits, dass Ausgangspunkt, Bezugspunkt und Arbeitsmaterial des Unterrichts die "diffusen Vorstellungen" der SchülerInnen sind. Da solche Vorstellungen auf irgendwelchen früheren Erfahrungen oder Erlebnissen beruhen, müssen im Unterricht Vorstellungen, Erfahrungen und Erlebnisse "irgendwie" artikuliert werden können. Siehe Punkt (3) oben!

Das Ordnen beruht auf "Ordnungskriterien", die die LehrerIn aus der Sache selbst ("Musik Lateinamerikas") und den Ziele ("interkulturelle Musikerziehung") ableitet. Mit den Kategorien des erfahrungsorientierten Lernens ist solch ein Ordnen die "systematische Verarbeitung von Erlebnissen zu (Lern-)Erfahrungen". Hierzu eine Erläuterung:

Erlebnis:= unverarbeitete "Brocken", die außerhalb der Schule aufgeschnappt werden und hängen bleiben ("diffuse Vorstellungen"), sowie musikpraktische, spielerische Aktivitäten im Unterricht.

Erfahrung:= entsteht durch die "Verarbeitung von Erlebnissen". Erst dies ist "Lernen".

Systematisch:= bedeutet, dass die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen (also der Lernprozess) "professionell" abläuft, Regeln folgt, Gesetzmäßigkeiten aufweist und begründet ist.

Beispiele von Ordnungskriterien unten!

Ordnungskriterium 1 ist die "multikulturelle Grundstruktur" Lateinamerikas, die sich politisch und ökonomisch, aber auch kulturell und musikalisch äußert. Es handelt sich hierbei um eine durch Herrschaftsverhältnisse gezeichnete multikulturelle Struktur (vgl. genauer Blatt 7):

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Ein weiteres Ordnungskriterium kann die Besonderheit von musikalisch-kultureller Tätigkeit in Lateinamerika sein. Gerade von sozial besonders schwachen, oft unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums lebenden Teilen der Bevölkerung wird mit großem Einsatz, mit Vitalität, Kreativität, Intensität und Vergnügen "sinnenfrohe Musik" gemacht. Musik kann daher nicht nur "anklagender Ausdruck" einer schlechten Lage, sondern auch Hoffnung, Lebenselixier, Utopie und "Sinn" sein. Die musikalische Identitätsbildung, die "Aneignung von Lebensrealität" durch Musik findet über beide Komponenten statt:

 

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 Ein drittes Ordnungskriterium kann der widersprüchliche Bezug lateinamerikanischer Musik zur internationalen (meist nicht-lateinamerikanischen) Musikindustrie sein. Zunächst erleben wir (solange wir nicht hinfahren oder mit Latinos, die in Deutschland leben, Kontakte haben) die Musik Lateinamerikas als musikindustrielles Phänomen. Das reicht von scheinbar "authentischen" Fernsehberichten, Büchern und Tonaufnahmen über "Weltmusik", die in Lateinamerika entstanden ist, bis hin zu im Ausland entstandenen Kreationen wie Salsa. Die bloße Gegenüberstellung von "authentischer" und "kommerzieller" Musik ist nicht ausreichend, um das Gesamtphänomen zu erklären, die Frage nach "Authentizität" und "Kommerzialität" kann immer gestellt, muß jedoch differenziert beantwortet werden.

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