Tiefenwirkung von Musik: Theorie und Praxis der Klangarchetypen

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Carl.G. Jung: Archetypenlehre Wolfgang Strobel: Klangarchetypen
Kollektives Unbewußtes Energetische Urmuster
Es gibt ein kollektives Unbewußtes, eine tiefere Schicht des Unbewußten, die nicht mehr individuellen Erfahrungen entspringt (Jung 7). Monochrome Klangstrukturen entsprechen energetischen Urmustern, stellen Urkräfte des menschlichen Bewußtseins dar. Eigenschaften der Klangwirkungen sind die der allgemeinen Trance-Induktion (1992b, 99).
Archetypen Klangarchetypen
Die Inhalte des kollektiven Unbewußten sind die Archetypen. Sie sind noch keiner bewußten Bearbeitung unterworfene, unmittelbare seelische Gegebenheiten (Jung 8-9). Die verschiedenen Klangstrukturen vermögen ganz bestimmte Themenkomplexe im Unbewußten des Menschen anzustoßen. "Aus diesem Grunde ist es sicher gerechtfertigt, von Klangarchetypen zu sprechen" (1992b, 101).
Mythen der Welt Heiltraditionen der Welt
Es besteht eine Kongruenz von Träumen, Delirien, Phantasien und aktivem Imaginieren westlicher Menschen und den Mythen der Welt (Jung 9, 51-53). Bei der tranceinduzierenden Musiktherapie spielen "Bilder aus dem kollektiven Unbewußten", "Erfahrungen aus anderen Kulturen" eine Rolle (1992b, 112). Die archetypische Wirkung der verwendeten Instrumente wird durch Wirkungen im ethnischen Kontext erklärt (1992a, 292-296).
Begründung Begründung
Archetypen sind Niederschlag sich stets wiederholender Erfahrungen der Menschheit. [Strobel gibt keine explizite Begründung für das Entstehen von Klangarchetypen.] Unterschiede in der Klangwirkung werden bisweilen auf unterschiedliche Obertonstrukturen zurückgeführt (Monochord = harmonikal und stabil, Klangschale = quasiperiodisch und schwebend, Gong = oszillierend und veränderlich).
Erlebniskomplex Evidenzerlebnisse
Archetypen sind "schicksalmäßig eintretende Erlebniskomplexe". Man kann sie nicht auflisten und abhaken (Jung 32). Die von den Klängen ausgelösten Motive und symbolischen Urbilder sind "keine wissenschaftlichen Begriffe, von denen Eindeutigkeit gefordert werden kann" (1992b, 101-102).
Archetypische Bilder Archetypisches Themenfeld
Zu unterscheiden ist der abstrakte Archetypus-Begriff von den konkreten archetypischen Bildern ("Zentrierung" und Mandalas, die diese Idee umspielen). Neben der allgemeinen Klangwirkung (Trance-Induktion) gibt es eine der spezifischen Klänge, auf das dem Klang immanente Thema des Erlebens (1988, 122), auf das "charakteristische psychologische Themenfeld" (1992b, 99).
Wirkung der Archetypen Wirkung in der Hypnotherapie
Archetypen strukturieren und ordnen die Psyche. Sie tun das in "symbolischen Prozessen". Typische Symbolische Prozesse: Tarot, Chakren, Meridiane, Glaubensdogmen (Jung 41).

Menschen können von archetypischen Bildern ergriffen werden. Arbeit mit Archetypen kann die psychischen Prozesse zentrieren, das Seelenleben ordnen.

In der Dynamik des Trance-Verlaufs übernimmt der energetische Klangarchetypus die "unbewußte Suche" und den "unbewußten Prozeß" (= Phase 3 und 4 bei Erickson/Rossi), die indirekte Suggestion und Aktivierung von Assoziationen und Bildern (1992b, 100).

Mit Klangarchetypen kann gearbeitet werden auf der Ebene der "psychodynamisch zu interpretierenden", der "prae- und perinatalen" und der "transpersonalen Erfahrungen" (1992b, 112).

 

Die therapeutische Praxis und der Einsatz der Instrumente folgt dem klassischen Schema der Psychotherapie:

Zur interkulturellen Utopie sagt Strobel:

"Natürlich können wir afrikanische oder indianische Heilungsrituale nicht einfach übernehmen. Sie wären ohne einen gewachsenen kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund wirkungslos. Aber wir können ihr Wesen erkennen und von ihnen lernen, damit ähnliches bei uns wieder belebt werden kann" (1988, S. 120).

Die folgende Tabelle zeigt die ethnischen Instrumente, die Strobel verwendet, sowie einige Stichworte aus den recht ausführlichen Beschreibungen der archetypischen Themenfelder:

Klangerzeuger Kultureller Hintergrund Archetypische Themenfelder
"Ocean-Drum" US-Neukonstruktion Der formlose Zustand, aus dem wir kommen und in den wir zurückkehren (Welle und Meer!).
13-saitiges Monochord Neukonstruktion BRD Ozeanische, entgrenzede Erfahrungen. Regressive Verschmelzungserlebnisse, verschiedene Arten der Regression. Kosmos, Ureinheit mit der Welt.
Indianer- und Schamanentrommel Amerika, Nord-/Zentralasien Tröstlich und unerbittlich, Zuverlässigkeit (Mutterherz). Bei MM = 60 irdisch, selbstbegrenzend (Gegenteil von entgrenzendem Monochord).
Gong Chau Lou Ostasien (China) Wandlungs- und Übergangserlebnisse, z.B. Geburtsvorgang, Tod. Krisis und Entwicklungsprozeß. Opferzeremonien, Übergang in freie Räume.
Didjeridu Australien (Aborigines) Landschaften, Natur, Erde. Triebhaftigkeit, Sexualität, Körperlichkeit, das Animalische.
Hohe Klangschale Tibet Hingabe an eine höhere Macht, an transzendierende Energien. Überwindung von Bedrohung. Progressive Regression.

 

(Zitierte) Literatur

Wolfgang Strobel: Reader Musiktherapie. Zeitpunkt Musik, Wiesbaden 1999. Sammlung aller wichtigen Aufsätze Strobels. Insbesondere:

Klang - Trance - Heilung. Die archetypische Welt der Klänge in der Psychotherapie. In: Musiktherapeutische Umschau [MTU] 9/1988, S. 119-139.

Das Didjeridu und seine Rolle in der Musiktherapie. In: MTU 13/1992, S. 279-297.

Die klanggeleitete Trance. Eine analytisch orientierte Form nonverbaler Hypnotherapie. In: Hypnose und Kognition 9/1992, S. 98-117.

Grenzzustände in der Musiktherapie. In: Wolfgang C. Schroeder: Musik. Spiegel der Seele. Eine Einführung in die Musiktherapie. Junfermann-Verlag/Paderborn 1995, S. 281-307.

Tonius Timmermann: Musikalische Strukturen und ihre psychische Wirkung. Freies Musikzentrum/Eigenverlag München 1983. (Hierauf bezieht sich Wolfgang Strobel.)

Ders.: Das Monochord - eine Wiederentdeckung. In: MTU 10/1989, S. 308-319

Ders.: Die Musik des Menschen. Gesundheit und Entfaltung durch eine menschennahe Kultur. Piper/München 1994. (Insbesondere S. 191-203.)

Wolfgang Martin Stroh: Zur psychoanalytischen Theorie der Weltmusik. In: Studien zur Popularmusikforschung 19/20. Coda-Verlag Karben 1997, S. 128-151.

Carl G. Jung: Archetypen. dtv/München 51995. (= Aufsatzsammlung aus der Taschenbuchausgabe in 11 Bänden bei dtv.) Insbesondere: Über Archetypen des kollektiven Unbewußten (1934) und Der Begriff des kollektiven Unbewußten (1936).