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Anneke Fürst und Esther Grätschus:

Afrikanisches Trommeln - Untersuchung der geschlechtsspezifischen Herangehensweise Lernender und der Didaktik/Methodik afrikanischer und europäischer Lehrender

Untersuchungsgegenstand sind aktuelle Kurse in afrikanischem Trommeln in Deutschland. (1) Mittels einer quantitativ ausgewerteten Befragung wird untersucht, warum mehr Frauen als Männer solche Kurse besuchen, insbesondere ob die größere Attraktivität solcher Kurse auf  Frauen im "workshop-Prinzip" oder in einer frauenspezifischen Herangehensweise an Musik liegt. (2) Mittels qualitativer Interviews werden afrikanische und deutsche Lehrende nach ihrer Herkunft, ihrem Musikbegriff, ihrer "didaktischen Konzeption" und Unterrichtszielen befragt.

Die Ergebnisse der beiden Untersuchungen sind in mehrere Hinsicht beachtenswert, auch wenn die statistische Untersuchung aufgrund der relativ geringen Anzahl von 51 Befragten (36 w : 15 m) eher "explorativen" Charakters ist. So fällt auf, dass die Unterschiede zwischen Motiven, Einschätzungen, Handlungen und Zielsetzungen von Männern und Frauen nur in sehr wenigen Dimensionen voneinander abweichen, die Geschlechtsspezifik also allenfalls als "tendenziell" bezeichnet werden kann. Männer wie Frauen stimmen darin überein, dass für sie "selbstbestimmtes und selbstkontrolliertes Lernen, die Ermöglichung des Sich-Ausdrückens, Vermeidung von Leistungsdruck und eines Richtig-Falsch-Denkens, der Vorrang des gemeinschaftlichen Gruppenerlebnisses und der Körperlichkeit vor technischer Perfektion" (S. 266) im Vordergrund stehen. Hierin stimmen die deutschen Lernenden mit den deutschen DozentInnen überein. Bei den afrikanischen Lehrern lässt sich eine solche Aussage nicht treffen. Ihre Motivation, ihr Musikbegriff und ihre Strategie, mit der fremden deutschen musikalischen Bedürfnislage der Lernenden umzugehen, weicht erheblich von "deutschen Verhältnissen" ab. Die latente Frage, warum Afrikaner in Deutschland (zum Teil seit Jahrzehnten) Trommelkurse geben, wird - sieht man von rein ökonomischen Überlegungen ab - von einem sehr vagen "Missionsbewußtsein" nur unzureichend beantwortet.

Aus der Untersuchung geht eindeutig hervor, dass die afrikanische Musik drei wichtigen Dimensionen des "workshop-Prinzips" entgegen kommt:

  1. Afrikanisches Trommeln als Angelegenheit einer Gruppe; von daher auch die zwingende Verbindung zum Gruppenunterricht.
  2. Afrikanisches Trommeln als "ganzheitliche" Tätigkeit, insbesondere einer Verbindung von Rationalem und Emotionalem, von Körper, Geist und Seele.
  3. Afrikanische Musik als körperliche Musik.

Nur die Dimension 1 kommt der Untersuchung zufolge den teilnehmenden Frauen "geschlechtsspezifisch" entgegen, während die Dimensionen 2 und 3 für Frauen und Männer von fast gleicher Bedeutung sind. Die Frage, ob und inwieweit afrikanisches Trommeln einer geschlechtsspezifischen Emanzipation dienen kann, muss bejaht werden, allerdings für Frauen und Männer gleichermaßen. Frauen können sich - um eines der wenigen geschlechtsspezifisch signifikanten Ergebnisse zu nennen -  von der Flöte emanzipieren, Männer hingegen vom gesellschaftlichen Klischee, demzufolge Männer weniger körperlich und ganzheitlich an Musik herangehen würden als Frauen.

Hier ein typisches Untersuchungsergebnis:

Männer und Frauen unterscheiden sich nicht signifikant in der Ablehnung einer "beruflichen Fortbildung" und relativer Gleichgültigkeit bezüglich der Aussage "eine Freizeitbeschäftigung neben anderen". Dasselbe gilt für die stark favorisierten Angaben: "Trommeln dient dem Ausgleich", wobei weniger an "wie Urlaub" als vielmehr an "Herausforderung" gedacht ist, sowie der "Vermittlung eines anderen Lebensgefühls".

trommeln1.gif (7989 Byte)

Hier das Inhaltsverzeichnis:

1. Didaktik und Methodik afrikanischer und europäischer Lehrender

1.1 Die traditionelle Musikgestaltung in Schwarzafrika

1.2 Probleme des europäischen "Verstehens" afrikanischer Musik

1.3. Untersuchung

Interviewleitfaden

  • Musikalische Biografie der Lehrenden
  • Musikalischer Werdegang
  • Musikbegriff
  • Der Unterricht

Durchführung, Ergebnisbeschreibung, Interpretation

1.4. Fazit zu Methodik/Didaktik

2. Geschlechtsspezifische Herangehensweise Lernender

2.1. Repräsentanz von Frauen in der musikalischen Öffentlichkeit inclusive Amateurszene (Literaturbericht)

2.2. Geschlechtsspezifische Herangehenswiese an Musik (Literaturbericht)

2.3. Das Untersuchungsfeld: "workshop-Prinzip", Erwachsenenbildung, Mädchenarbeit

2.4. Fragestellung der empirischen Untersuchung

2.5. Methode und Durchführung

2.6. Ergebnisse: Beschreibung und Interpretation

2.7. Fazit

3. Schlussbetrachtung und Ausblick

Die Arbeit hat durch den unerwarteten Tod des Meistertrommlers Aja Addy nachträglich den Charakter eines "historischen" Vermächtnisses erhalten. Das mit Aja Addy im Herbst 2002 geführte Interview der beiden Autorinnen ist wahrscheinlich nicht nur die erste "europäisch-musikwissenschaftliche" Auseinandersetzung mit Aja Addy überhaupt, sondern mit Sicherheit auch das letzte dokumentarische Zeugnis Aja Addys. Die "unserem Lehrer und Freund Aja Addy" gewidmete Arbeit schließt somit ein Kapitel in der Geschichte der musikalischen deutsch-afrikanischen Beziehungen ab, hat doch Aja Addy in den vergangenen 25 Jahren als Trommellehrer und Künstler in Deutschland und zugleich als Priester und Medizinmann in Ghana gewirkt und dabei nicht nur die deutsche workshop-Szene nachhaltig geprägt, sondern auch in seiner Heimat Institutionen des interkulturellen musikalischen Dialogs ins Leben gerufen.

Kontakt: Esther Grätschus und Annecke Fürst (esther.graetschus "at" web.de und anni.mae "at" web.de).