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Jochen Fried und Marianne Koch:

Saz oder Samba - Interkulturelle Arbeit an niedersächsischen Musikschulen

Eine empirische Untersuchung im Rahmen eines Projektvorlaufs zur "eine welt musik lehre" 

Erfreulich viele Musikschulen im Landesverband Niedersächsischer Musikschulen e.V. nahmen freiwillig an einer empirischen Untersuchung zur interkulturellen Musikschul-Arbeit teil, die die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Frage "Inwieweit und auf welche Weise sind Menschen, die in Deutschland leben, aber aus einem fremdem kulturellen Kontext stammen, im hiesigen Musikleben repräsentiert?" durchführte. 64 der 80 Musikschulen antworteten entweder schriftlich oder in einem TelefonInterview auf Fragen, die "Multikulturalität" des Lehrangebots, andererseits Utopien einer "multikulturellen Musikschule" betrafen.

Das Lehrangebot

An 27% der befragten Musikschulen wird nach eigenen Angaben Musik fremder Kulturen unterrichtet. Dabei war Samba und Perkussionsunterricht als ein deutlicher Schwerpunkt im Lehrangebot außereuropäischer Musik zu erkennen. Wir stellten fest, daß zum größten Teil Musikstile angeboten werden, die aus Kulturen stammen, die kaum durch in Deutschland lebende Menschen vertreten sind.

So ist die Kultur der in Deutschland lebenden Brasilianerlnnen - sie machen weniger als ein Prozent aller in Deutschland lebenden Ausländerlnnen aus - durch die relativ vielen Sambagruppen (38% aller Unterrichtsangebote von Musikschulen, die sich mit Musik fremder Kulturen beschäftigt) an Musikschulen deutlich überrepräsentiert.

Dagegen ist die türkische Musik überhaupt nicht vertreten, obwohl diese Bevölkerungsgruppe mit 28% den größten Anteil aller in Deutschland lebenden Ausländerlnnen ausmacht. Wir schließen daraus, daß die in Musikschulen gelehrte Musik fremder Kulturen wenig mit der tatsächlichen Bevölkerungsstruktur Deutschlands zu tun hat. Vielmehr vermuten wir, daß sich die dort gelehrte Musik fremder Kulturen eher oder auch ausschließlich an derzeitigen deutschen bzw. europäischen modebedingten Vorlieben und dem internationalen Musikmarkt orientiert.

a. 22% der befragten Musikschulen lehren Instrumente fremder Kulturen. Das Repertoire umfaßt Perkussion, Balaleika und Panflöte. Das einzige Instrument, das von Lehrerlnnen aus der entsprechenden Kultur gelehrt wird, ist die Balaleika. Pekussion mit fast 70% (der o. g. 22%) sowie Panflöte wird von deutschen Musiklehrerlnnen unterrichtet.

Das Musikschulklientel

Das Angebot der niedersächsischen Musikschulen wird überwiegend von Kindern und Erwachsenen deutscher Abstammung genutzt. Dabei sind sich Musikschulen meistens ihrer sozialpolitischen Verantwortung, die auch die Integration ausländischer Mitbürgerlnnen zum Ziel hat durchaus, bewußt. Aber sie verstehen sich häufig auch als partiell "marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen", die ihr Angebot nach der Nachfrage ausrichten müssen. Da die ausländischen Mitbürgerlnnen offenbar weder Musikschulangebote von sich aus nachfragen, noch mit Wünschen nach Musik aus ihrer eigenen oder anderen Kulturen an die Musikschulen herantreten, sind sie als Musikschulklientel nicht vertreten.

Das "Für und Wider" eines interkulturellen Musikschulkonzeptes

Die Befragten nannten folgende Probleme, die bei der Realisierung einer interkulturellen Musikschule auftreten könnten: 25% der Befragten erschien die mangelnde Nachfrage als Hemmnis bei der Realisierung ihrer Vorstellung von einer kulturell interaktiv agierenden Institution. Sie fürchteten, für ein erweitertes Angebot, z.B. an fremden Instrumenten, nicht die erforderliche Schülerlnnenzahl für eine sinnvolle, d.h. finanziell vertretbare Auslastung zu gewinnen. Einige gaben an, daß bei expliziter Nachfrage sich die Musikschule bemühen würde, das Angebot anzupassen.

In diesem Zusammenhang beklagten einige Musikschulen den mangelnden Willen ausländischer Musikgruppen an einer Zusammenarbeit. Diese Gruppen hätten einen so hohen Grad an Selbstisolierung, daß es nicht möglich sei, eine Öffnung in die Institutionen deutschen Musiklebens zu erwirken. Das Interesse an einem kulturellen Austausch sei nicht erkennbar.

In Anbetracht der schwierigen sozialen Situation jugendlicher Aussiedler verwies ein Musikschulleiter auf die Verantwortung, die seiner Musikschule als integrativer und persönlichkeitsbildender Instanz zukäme. Er berichtete von seinen Bemühungen, in Zusammenarbeit mit dem Stadtrat Projekte zu entwickeln, die diese Gruppe motivieren und so die von ihm wahrgenommene Selbstisolierungstendenz aufbrechen könnte.

Eine weitere Befürchtung für viele der befragten Musikschulleiterlnnen war der Mangel an entsprechend qualifizierten Lehrkräften. Saz-Unterricht, der an einer niedersächsischen Musikschule über mehrere Jahre erfolgreich in Zusammenarbeit mit einer Freizeiteinrichtung angeboten wurde, mußte nach dem Ausscheiden des türkischen Musiklehrers mangels adäquater Nachfolge eingestellt werden.

Hier zeigt sich, daß es ausländischen Musiklehrerlnnen durchaus möglich ist, die Musik ihrer Kultur im Rahmen einer deutschen Musikschule zu lehren, da es für deutsche Musikschulleherlnnen in den herkömmlichen Ausbildungen kaum möglich ist, sich zu Lehrerlnnen ausländischer Instrumente ausbilden zu lassen.

Einige Musikschulleiterlnnen verweisen auch auf Probleme, die bei der Bezahlung entstehen könnten, da die Ausbildung ausländischer Musiklehrerlnnen weder den deutschen Musikschulnormen noch den BAT-Bestimmungen entspreche. Auch das Problem fehlender finanzieller Mittel, die für den Aufbau eines multikulturellen Musikangebotes nötig seien, wurde als angeführt.

Einige Musikschulen verwiesen allerdings darauf, daß im Rahmen organisatorischer Umstrukturierungen die Finanzierung kleinere Projekte zunehmend erleichtert würden. Die auf unsere Umfrage hin gespiegelte grundsätzliche Bereitschaft, ausländische Musik an den Musikschulen zu fördern, setzte bei einigen Befragten auch Visionen frei, wie diese Absicht in die Praxis umzusetzen sei. So sahen manche in der Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen wie Jugendzentren, Ausländervereinen und Volkshochschulen, eine Möglichkeit ihre Ziele umzusetzen.

Fazit und Ausblick

Zunächst bestätigte die Untersuchung den Eindruck, daß die in Deutschland lebenden Menschen, die einem fremden kulturellen Kontext entstammen, in der Institution "Musikschule" so gut wie nicht repräsentiert sind. Es ergaben sich drei Ursachenkomplexe für diesen Tatbestand: Einige Musikschulen sehen keinen Handlungsbedarf, verweisen auf bestehende Sambagruppen, auf einen hochquallfizierten russischen Klavierlehrer, auf die freiwillige Selbstisolation der "ausländischen Kultur" in Deutschland oder das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Andere Musikschulen erkennen sehr wohl ein Defizit, sehen sich aber unter dem Diktat der "marktwirtschaftlichen Orientierung" der Musikschulen, die die Verwirklichung eines politischen Ziels wie das einer "multikulturellen Musikschule" schlechtweg verbietet. Einer dritten Gruppe von Musikschulen fehlen nicht der gute Wille und der marktwirtschaftliche Optimismus, sondern griffige multikulturelle Konzepte, beginnend mit der Musikschullehrerausbildung bis hin zur notwendigen Zusammenarbeit mit örtlichen Institutionen oder mit Ausländervereinen.

Musikschulen, die keinen Handlungsbedarf sehen oder die marktwirtschaftlich "resigniert" sind, könnte ebenso wie jenen Musikschulen, die auf der Suche nach durchf'ührbaren Konzepten sind, durch Erfahrungsaustausch und Information, durch Fortbildung und Teilnahme an bereits bestehenden Projekten geholfen werden. Zu nennen wären anregende Projekte der Kulturinitiative Ruhr, das Hip-Hop-Projekt der LAG Musik Nordrhein Westfalens oder der "Kameval der Kulturen" in Berlin, aber auch die positiven Erfahrungen des Freien Musikzentrums München und vergleichbarer "freier" Musikschulen.

Das Fach der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg möchte in Verbindung mit dem Fachbereich 1 der Musikhochschule Hamburg derart "vorbildliche" Projekte sammeln, dokumentieren und gegebenenfalls in der nmz vorstellen. Wir rufen alle Musikschulen und vergleichbare Einrichtungen auf, sich über die nmz-Redaktion oder direkt beim Fachbereich 2 der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (z.H. Prof. Dr. Wolfgang Martin Stroh), Postfach 2503, 26111 Oldenburg mit entsprechenden Berichten oder Materialien zu melden. Den vielen Kolleginnen und Kollegen der niedersächsischen Musikschulen, die sich an unserer Befragung bereitwillig beteiligt haben, danken wir auf diesem Wege.

siehe auch eine.welt.musik.lehre