zurück zur Titelseite "Forschungsberichte Stroh/Universität Oldenburg"

Jesco Schneemann: 

"Hermetik" bei Arnold Schönberg. Eine Auseinandersetzung mit neueren Schönberg-Interpretationen

Ausgehend von der Beobachtung, das in jenen musikwissenschaftlichen Publikationen der 90er Jahre, in denen das Schaffen der Zweiten Wiener Schule "konstruktivistisch" betrachtet wird, Widersprüche "zugekleistert" werden und dadurch ein "widerspruchsfreies" Gesamtbild des Komponisten Arnold Schönberg konstruiert wird, untersucht Jesco Schneemann erneut Schönbergs "Selbstkonstruktion" in der Absicht, Widersprüche nicht "zukleistern" zu müssen, sondern als Wesensmerkmal eines "konstruierenden" Komponisten erkennen zu können. Jesco Schneemann fragt nicht nur nach dem "Wie?" der Selbstkonstruktion, sondern auch nach dem "Warum?" (den Motiven) und findet als Antwort auf die letztgenannte Frage das Phänomen der "historischen Legitimation".

Das Gesamtergebnis der vorliegenden Arbeit: Zum einen zeigt die Arbeit Schönberg als einen Menschen, der aufgrund seines Legitimationsbestrebens und des dabei verwendeten Geschichtsbildes und Geschichtsbegriffs

(hermetischer Heroe, der eigentlich keiner Tradition sondern nur der Berufung bedarf, versus Legitimation durch Tradition, die aus einer Reihe aneinander anknüpfender - also nicht berufener Heiliger, sondern konstruierend tätiger Menschen -, entsteht)

sich in Widersprüche verstrickt und damit sein Ziel, die Fachwelt zu überzeugen, verfehlt. Zum anderen zeigt die Arbeit, dass die aktuelle Schönbergforschung selbst "konstruiert", d.h. Schönbergs Legitimationsbestrebungen reproduziert und dabei gerade das Gegenteil von dem macht, was man kritische Wissenschaft nennen könnte. - Jesco Schneemanns Arbeit bringt in diesen selbstreproduzierenden Legitimationszirkel etwas Licht, auch wenn er diesen Zirkel - das ist meine einzige Kritik an dieser Arbeit! - nicht klar durchschaut und daher zu dem "heorischen" Schlußsatz kommen konnte, dass Schönbergs "Ansehen" ausschließlich "seinem Werk" zu verdanken sei. Genau das Gegenteil beweist Jesco Schneemanns scharfsinnige Beweisführung! (Der Rückfall in nicht-konstruktivistisches Denken sei dem Autor verziehen!)

Die Beweisführung Jesco Schneemanns beruht nicht auf Kompositionsanalysen, sondern einer kritischen Interpretation von Schönbergs eigenen Worten und denjenigen seiner wissenschaftlichen Gefolgsleute. Sie verläuft in zwei großen Strängen: Zum einen werden einige Kategorien, die für Schönbergs Geschichtsbild und Ästhetik maßgebend waren, dargestellt. Zum andern wird der Bezug Schönbergs auf Bach, Beethoven und Brahms konkretisiert.

Kapitel 2: die Kategorien Schönbergs. Hier interpretiert Jesco Schneemann Vieles neu, was im Grunde bekannt ist. Schönbergs "Musikgeschichte" blendet Unbrauchbares aus, Schönbergs Teleologie ist "kontextabhängig" (d.h. von persönlichen Interessen geleitet), Schönbergs Umgang mit Tradition ist intolerant (er bekämpft jede Art von Traditionsbezug, die nicht die seine ist), bezüglich des selbst aufgeworfenen "style & idea"-Problems formuliert Schönberg keine überzeugende Lösung und die "innere Notwendigkeit" dient Schönberg dazu, sich hermetisch als Magier und Formulierer (nicht als Auslöser) von "Rätseln" zu stilisieren.

Kapitel 3: die historischen Bezugskoordinaten Schönbergs. Der "Zweck", den Schönberg mit seinem Bezug auf Bach, Beethoven und Brahms verfolgt, wird von Jesco Schneemann prägnant herausgearbeitet. Bach gilt kompositionstechnisch als direktes Vorbild der Dodekaphonie. Beethoven ist ihm als Mensch, als "verkanntes Genie" und als ewig Kämpfender ein Trost. Brahms ist in einer "Doppelstrategie" brauchbar: als Beweis, dass Schönberg durch seine Brahms-Apologetik die Klassische Tradition nicht verlassen habe, und als Verteidigung gegenüber dem Vorwurf, selbst veraltet zu sein (weil gegenüber Brahms derselbe Vorwurf erhoben, von Schönberg aber widerlegt wurde).

Die Arbeit ist eine kritische Analyse von Primär- und Sekundärquellen über eine Thematik, die eigentlich schon seit ein paar Jahrzehnten nur noch ritualisiert und im philologischen Kleinkrieg unproduktiv abgehandelt wird (zum Beispiel: Welche Formulierungsvarianten verwendet Schönberg in der Druckfassung seines Brahmsvortrags gegenüber der Rundfunkfassung?). Jesco Schneemann ent-ritualisiert diese Art Themenbehandlung und mischt das Thema neu auf. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht der von Andreas Mayer und Ullrich Scheideler herausgegebene Sammelband "Autorschaft als historische Konstruktion. Arnold Schönberg - Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten", Metzlerverlag Stuttgart 2001.