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Ritualisierte Erinnerungsarbeit

im herkömmlichen Geschichts-, Politik und Religionsunterricht  mit den Methoden: Information und Aufklärung über die Opfer, Betroffenheit, Gedenkstättenbesuche, Zeitzeugenberichte, Film- und Literaturverarbeitungen, Israelreisen, Spurensuche.

Erinnern wird in einem Ritual durchgeführt,

ein fester Rahmen von Verhaltensweisen ist vorgegeben,

was zu fühlen ist, ist ebenfalls vorgegeben - abweichendes Fühlen muß unterdrückt werden (aus Rücksicht auf die anderen Ritual-Teilnehmer),

Wiederholung eines immergleichen Ablaufes soll den Effekt erhöhen,

die abgehandelten Inhalte sind „erhaben", abstrakt, unfassbar.

 

Nicht-ritualisierte Erinnerungsarbeit mit Beispiel

im Musikunterricht durch die Methode der szenischen Interpretation jüdischer Musik.

Erinnern ja - im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte: nicht nur erfahren, „was gewesen ist, sondern auch warum es gewesen ist" (Adorno).

Die Form der Erinnerungsarbeit ist offen und flexibel: mit dem Konzept der szenischen Interpretation von Musik!

Durch szenische (Rollen-)„Einfühlung" versetzen sich die Schüler in Täter und Opfer, können die Rollen aber mit ihren eigenen Gefühle und Phantasien füllen.

Eine wichtige Information über „historische Gefühle" vermittelt die klingende und selbst gespielte Musik. Die SchülerInnen können ausprobieren, wie sie durch diese Gefühle angesprochen werden.

Die Gefühlswelt, die die Musik enthält, ist konkret.

Die szenische Interpretation stellt die Musik in ihren (historischen) Entstehungs- und Verwendungszusammenhang: sie läßt die „handelnden Personen" konkret erscheinen.

 

Aktuelle Problempunkte der "Holocaust-Erziehung"

Problempunkt(e) "Maßnahmen"
Kritische Auseinandersetzung mit der ganzen Geschichte (nicht nur den Juden). Statt Rekonstruktion, was geschah, Untersuchung, warum es geschah. Anschaulichkeit/Konkretheit: Zeitzeugenberichte, Spurensuche vor Ort, kritische Gedenkstättenbesuche

„Der Jude" nicht als Abstraktum, sondern als konkreter Mensch (vgl. MAUS).

Aufklärung kann das „Klima" verändern bzw. beeinflussen. Nicht einen Einzelnen ändern oder zum Handeln motivieren Empathie ist notwendige Voraussetzung dafür, dass Aufklärung sinnvoll ist. Empathie ist Einfühlung und nicht Betroffenheit.
Nicht nur Opfer-, sondern auch Täterperspektive thematisieren!

Auch Retter und Widerständler: „Man kann etwas tun!"

Thematisierung des Zusammenhangs zwischen aktuellem Antisemitismus und Rassismus.
Kritik an "moralischer Erziehung".

Kritik an Betroffenheitspädagogik. Schuldfrage - „gesellschaftliche" - problematisch: erstens wegen der 3. Nachkriegsgeneration, zweitens wegen der multikulturellen Gesellschaft.

Gedenkstättenbesuche oder Holocaust-Mahnmal versus „Jüdisches Museum" in Berlin: zwei gegensätzliche Konzepte!

 

Erziehung zu Demokratie und Toleranz, Menschenrechte darf hinter der Erinnerungsarbeit nicht zu kurz kommen. Sie kann wichtiger gegen Antisemitismus sein als moralische  Holocaust-Erziehung. Menschenrechtserziehung benötigt Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen. Auseinandersetzung mit den Ursachen und den Legitimationsversuchen von Menschenrechtsverletzungen im Namen des Holocausttraumas (Scharon).
Widersprüchliche Erscheinungn der Tagespolitik müssen miteinbezogen werden.

Keine Übertragung US-amerikanischer Konzepte auf Deutschland sinnvoll. Das amerikanische Einteilen der Menschheit in die Kategorien "gut-böse" ist abzulehnen.

Internet- und andere Kontakte zu politisch unterschiedlichen Gruppen in Israel.

US-Diskussion vollständig berücksichtigen: z.B. „Die Holocaustindustrie" oder die politischen Gründe des Klezmer-Revivals.

 

Beispiel

„Tsen Brider sajnen mir gewes’n"

erarbeitet im szenisch-musikalischen Spiel

siehe auch die Klezmer-UE

Vorbereitung:

  • Text über die Emigration von Ostjuden um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) wird verlesen,
  • Bilder aus dem Schtetl werden gezeigt (PowerPoint) - reihum: Was fällt Euch besonders auf?".
  • Einstudierung des Lied-Refrains: auswendig, im Gehen, dazu Folie mit Text.

Rollenübernahme - Methode 1:

  • Alle erhalten eine Rollenkarte (Doppelbesetzungen!),
  • Lesen des Textes der Rollenkarte in Ich-Form, dabei durch den Raum gehen,
  • in einer charakteristischen Haltung gehen und sprechen,
  • sich einen „charakteristischen Spruch" ausdenken,
  • bei Begegnungen sich mit dem „Spruch" gegenseitig vorstellen.

Rollenübernahme - Methode 2:

  • Alle erhalten eine Rollenkarte (Doppelbesetzungen!).
  • Die Gruppen mit jeweils 2 bis 3 gleichen Bridern tun sich zusammen.
  • Jede Gruppe sucht sich einen Platz im Klassenzimmer, an dem sie sich „wohl fühlt" und geht (pantomimisch) einer charakteristischen Tätigkeit nach.
  • Gruppe einigt sich auf einen gemeinsamen „Aufrtitt": Gehhaltung, Spruch (Lebensmotto) beim Ankommen, Auftrittsrichtung, Zusammenwirken der Gruippenmitglieder.

Rollenvorstellung:

  • Strophen werden nacheinander vorgespielt (PowerPoint oder Tonband oder live),
  • die Personen/die Gruppe, die „ihre" Strophe erkennen/erkennt, treten/tritt in die Mitte des Raumes in ihrer charakteristischen Haltung/gemäß den Abmchungen,
  • sie erzählen in freien Worten ihre Biografie, ihr Schicksal,
  • Ende der Erzählung mit dem charakteristischen Spruch.
  • Abtreten in Gehhaltung.

Szenisches Spiel: das Lied

  • Wie oben, aber ohne Pausen und nach Reihenfolge, die auf der Folie (Textstruktur) angezeigt ist,
  • dazu: einfache Akkordbegleitung und „Rezitativ", Sprechgesang oder Gesangsgestus,
  • Refrain jeweils nach 2 „Auftritten" (wie im originalen Lied) von allen gesungen.

Szenisches Spiel: die Fortsetzung

  • Diskussion: wie kann das „Verschwinden" (Sterben) gemeint sein,
  • wie kann das Verschwinden szenisch dargestellt werden?
  • Wie soll der Raum hergerichtet werden?
  • Musik wird eingespielt: das szenische Spiel wird durchgeführt.

Schlußdiskussion:

  • Wie wurde der Kontrast Strophe-Refrain empfunden?
  • Kann das Lied aktualisiert werden? Wenn ja, wie? (Hinweis auf ein Rap-Playback.)
  • Diskussion unterschiedlicher Interpretationen (Rohland, Kulesiewicz, Oldenburg Syndrom u.a.), jeweils mit Standbildarbeit.