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Reinhard Schimmelpfeng: Eine Stimme, die nicht verstummt

Pythagoras soll nach der Aussage seines Biografen Iamblichos als Einziger in der Lage gewesen sein,  die Harmonie der Sphären zu hören und, indem er seine Gesänge danach ausrichtete, Menschen von Depressionen zu heilen. Heutige Obertonsänger eifern Pythagoras nach, indem sie die Harmonie, die durch die geordnete Abfolge von Obertönen in ihrer Stimme mitschwingt, hörbar machen. Das Publikum ist gebannt vom Zauber der flötengleichen auf- und absteigenden Obertöne, die aus einem lang gehaltenen Grundton hervortreten.  Michael Vetter hat 1983 nach einer 13-jährigen Zeit als Zen-Mönch die Technik des Obertongesanges nach Deutschland gebracht und an eine "westliche" Schülerschaft weiter gegeben. Einer seiner prominentesten Schüler war der Bremer Komponist Reinhard Schimmelpfeng, der die Techniken Vetters mit den Ansprüchen der Avantgardemusik seines Lehrers Hans Otte verknüpfte. Daraus resultierte eine spezifische Art von Obertonmusik, die es Reinhard Schimmelpfeng ermöglichte, Abende solistisch zu füllen und Menschen zu faszinieren.

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Reinhard Schimmelpfengs Kunst geht über das hinaus, was deutschlandweit heute unter Obertongesang praktiziert wird. Das unkontrollierte Herumirren in den Obertönen  hat er ebenso abgelehnt wie Räucherstäbchen oder esoterische Zutaten. Und vielleicht gerade deshalb hat er vielen Menschen das gegeben, was sie suchten. Seine Konzerte haben allen, die auf der Suche nach neuen musikalischen Erfahrungen waren, etwas gebracht, sei es nun die Einkehr zur erfüllten Stille oder einfach einen ästhetischen Hochgenuss. So ist es kein Wunder, dass Reinhard Schimmelpfeng die unterschiedlichsten Musikerinnen und Musiker als Partnerinnen und Partner gewonnen hat: den Jazztrompeter Uli Beckerhoff, den Shakuhachi-Spieler Dieter Weische, die Kirchenmusikerin Sigrid  Leger oder den Elektroniker Wolfgang Martin Stroh. Insbesondere das MIDI-Planetarium wird den Leser/innen noch in Erinnerung sein, das seit 1992 regelmäßig an der Universität, im Naturkundemuseum, im Schlauen Haus oder im Hof Oberlehte, in der Weserburg und Olbers Planetarium aufgeführt worden ist.
Vielen Menschen ist Reinhard Schimmelpfeng als einfühlsamer Lehrer in Erinnerung. Gerne arbeitete er als Stimmbildner mit Chören, unterrichtete einzeln und in kleinen (auch instrumentalen) Gruppen. Sein Methode, interessierte Laien zum Hören und selbständigen Produzieren von Obertönen anzuregen, ist in ihrer Systematik einmalig. Sie hat auch Eingang in den Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen gefunden. Seit kurzem ist "Schimmelpfengs Obertonschule" auch als Playlist in Youtube kostenlos zu finden. Eine ausführliche, wissenschaftlich fundierte und mit vielen Beispielen versehene Version dieser "Schule" gibt es auch als DVD.

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Am 16. September 2017 ist Reinhard Schimmelpfeng gestorben. Man wird seine einprägsame Stimme nicht mehr live hören können. Auf der erwähnten DVD jedoch lebt seine Stimme gerade aufgrund der vielen Videos, die den Obertonmusiker in Aktion zeigen, weiter. Wer die DVD kostenlos als Erinnerung erhalten möchte, sollte sich auf der Internetseite genauer erkundigen.

Dieser Text ist ein Nachruf von Wolfgang Martin Stroh, geschrieben für die Oldenburger Zeitung "Achtsamkeit".