Experiment 3 Soundwalk - Übung in der Wahrnehmung von „Soundscapes"

Hintergrund/Motivation:

Akustikökologie. Sensibilität für „Klanglandschaften". Selbstverständliches bewusst machen. Akustische Raumorientierung erfahren. Zusammenspiel von Auge und Ohr.

These

von der „Klanglandschaft" überprüfen durch Selbsterfahrung. Diese These lautet: Jeder Raum - zum Beispiel der Raum „Carl von Ossietzky Universität Oldenburg" - hat einen charakteristischen „Sound". Dieser Sound ist maßgeblich beteiligt an Gefühlen wie Fremdheit/Vertrautheit, Sicherheit/Unsicherheit oder „Heimat", Geborgenheit etc.

Ziel des Experiments:

Überprüfung der These durch Selbstbeobachtung. Zudem: Sensibilisierung für alltägliche Klänge, für die uns umgebende und uns - unbewusst - beeinflussende „Klanglandschaft" (Soundscape).

Durchführung/Experimental-Design:

Es werden Paare gebildet. Pro Paar gibt es eine/n Führer/in und eine/n Geführte/n. Letztere/r ist blind. Die Paare gehen durch bekannte Räume der Universität. - Nach dem „Soundwalk" versuchen die Blinden zunächst die erlebten und durchwanderten Orte zu re-konstruieren. Sodann berichten sie über besondere Erlebnisse und Beobachtungen: sowohl im Hinblick auf besondere Klänge, Geräusche etc., als auch im Hinblick auf Gefühle.

Letzteres geschieht mit der Technik des Partner-Interview und Protokollbogen.

Besondere akustische Erlebnisse/Ereignisse:

 

 

Besondere Gefühle:

Auswertungshinweise:

Sammeln der gemeinsamen Erlebnisse und Zusammenfassung unter der Frage, inwieweit sich die These des Soundscape bestätigen lässt.

Detailliertere Auswertung der Protokollbögen des Partner-Interviews ist möglich.

Ergebnisse 

Weg 1: KMS, außen am Gebäude entlang, sehr nahe an der Ammerländer Heerstraße, Haupteingang, Aula-Vorraum, Durchgang im Freien, am Hörsaal G vorbei, hinein ins Gebäude A6 (im Windfang verharren), hinauf durchs Treppenhaus, Raum der Stille.

Weg 2: Vom Raum der Stille durchs hintere Treppenhaus, im Freien in den Treppenaufgang des Parkhauses, durchs Parkhaus, durchs Freie in den „Prinzenpark" (bei Gebäude A8), über den Laufsteg, „hinab" auf Kieselsteine, zurück ins Gebäude A9, Treppenhaus vor dem Übetrakt.

Beobachtungen/Ergebnisse

Straßenverkehr wirkt lauter und bedrohlicher als sonst. Der Mensch nimmt Schall zur Orientierung und Gefahrenabwehr wahr. Ist das Sehen ausgeschaltet, dann wird das Gehör bzgl. Gefahrenerkennung und -abwehr noch wichtiger als sonst, was eine höhere Sensibilität zur Folge hat. Dasselbe gilt später für Autogeräusche im Parkhaus.

Übergang Ammerländer Heerstraße ins Hauptgebäude: die plötzliche Stille im Inneren des Gebäudes fällt auf. Lautstärkenunterschiede werden verstärkt wahrgenommen, wenn die Optik fehlt, die diesen Unterschied sofort erklärt. Das bedeutet dass ein Lautstärkenunterschied, der nicht sofort erklärbar ist, stärker wirkt als wenn er erklärt wird.

Sehr leise Geräusche werden wahrgenommen, die man üblicherweise überhört: Surren des Kopierapparates, Vorlesung in einem entfernten Hörsaal, Vogelgezwitscher im Innenhof, die Tritte der Mitgehenden usw. Man überhört die leisen Geräusche meist deshalb, weil die Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge gerichtet ist. Das bedeutet, dass die Aufmerksamkeit eine große Rolle beim bewussten Hören spielt.

Der Übergang von Außen nach Innen und umgekehrt wird bewusst wahrgenommen. Das bedeutet, dass „Außen" und „Innen" durch eine besondere Raumakustik geprägt ist, die üblicherweise durch den visuellen Eindruck überdeckt ist.

In kleinen Räumen wird die Nähe der anderen Menschen akustisch „gespürt", wobei hier wahrscheinlich auch noch Gerüche und die Wärmeempfindung hinzukommt. Auch die Nähe-Empfindung ist mit akustischen Signalen verbunden, deren man sich nicht bewusst ist.

Die Materialien des Fußbodens werden genauer und bewusster wahrgenommen. Das bedeutet, dass auch der Tastsinn verstärkt zum Einsatz kommt, wenn man nichts sieht. Zudem hat der Fußboden bzw. das eigene Gehen eine bestimmte Akustik.

Angst/Unsicherheit: sehr dominierend ist in allen Situationen der Umgang mit Angst und Unsicherheit. Alles, was Gefahr darstellen könnte wirkt „vergrößert".

Geborgenheit/Sicherheit („Heimat"): Umgekehrt können vertraute akustische Signale die Angst nehmen und Geborgenheit/Sicherheit vermitteln (die Tritte des Führenden, die Töne aus dem Übe-Trakt nach der angst erregenden Tour durch den Prinzengarten).

Fazit/Interpretation:

Wenn die Ergänzung durch den visuellen Eindruck fehlt, ist das Gehör für die meisten Eindrücke sehr geschärft.

Die „geschärfte" Wahrnehmung bedeutet, dass es viele akustische Signale gibt, die üblicherweise überhört bzw. nicht bewusst wahrgenommen werden.

Es ist aber anzunehmen, dass diese Signale dennoch auf uns wirken, dass sie eine emotionale Komponente von „Räumen" ausmachen (= These der Soundscape-Bewegung).

Das Gehör dient nicht nur der Wahrnehmung von bewusster Information, sondern hat auch die Aufgabe, Umweltgeräusche zu registrieren und das Bewusstein gegebenenfalls zu alarmieren.

Gefühlszustände wie Angst/Unsicherheit bzw. Geborgenheit sind auch akustisch vermittelt.

Anwendung/Konsequenzen:

Offen ist die pädagogische Frage, ob ein Soundwalk der „Sensibilisierung des Gehörs" dient und als „Hörerziehung" eingestuft und verwendet werden kann. Hat es einen Alltags-Effekt, wenn der Mensch sich bewusst gemacht hat, was er alles unbewusst wahrnimmt und tut? In jedem Falle kann ein Soundwalk nichts schaden und vermittelt neue Erfahrungen.


Anhang

 

Texte

„Landschaft hören" von Justin Winkler

Der von Schafer und seinen Mitarbeitern propagierte Hörspaziergang (listening walk) dient dem aufmerksamen Durchschreiten einer konkreten Umgebung; der Klangspaziergang (soundwalk) ist eine Variante, in der die Aufmerksamkeit eher dem Sammeln und Darstellen von orts-spezifischen Ereignissen dient; man kann in ihm auch das Kernelement eines Hörtagebuchs (sound journal) sehen. Die Künstlichkeit dieses Spaziergangs bezüglich der ihn rahmenden, das Hören inszenierenden Absichten hat einen hohen Sensibilisierungs-Wert und widerspricht der wissenschaftlichen Regel der Unbeteiligtheit; der Begriff des teilnehmenden Hörspaziergang (participatory soundwalk, Westerkamp 1974) nähert sich einem von Gestaltungswillen getragenen Verhältnis zur angetroffenen Klangumwelt. Dabei soll nicht aus der Alltagswelt abgehoben werden; Hörspaziergänge finden in gänzlicher 'Unbewehrtheit' des Ohres statt, das heisst, sie stellen das Gegenstück zu aller elektroakustisch mediatisierten Klanglandschaft dar. Mit Hörspaziergängen ist der Zugang zum Thema Klanglandschaft bewusst positiv angelegt: Der oder die Hörende soll gemäss World Soundscape Project (1977, 80) nicht geschützt, sondern muss exponiert werden, weil ohne eine Veränderung der Hörhaltung und einen Prozess des Bewusstwerdens weder Individuum noch Wissenschaftler Fortschritte machen können.


"Soundwalking" by Hildegard Westerkamp

In: Sound Heritage, Volume III Number 4 Victoria B.C., 1974, revised 2001

A soundwalk is any excursion whose main purpose is listening to the environment. It is exposing our ears to every sound around us no matter where we are. We may be at home, we may be walking across a downtown street, through a park, along the beach; we may be sitting in a doctor's office, in a hotel lobby, in a bank; we may be shopping in a supermarket, a department store, or a Chinese grocery store; we may be standing at the airport, the train station, the bus-stop. Wherever we go we will give our ears priority. They have been neglected by us for a long time and, as a result, we have done little to develop an acoustic environment of good quality.

Listening in that way can be a painful, exhausting or a rather depressing experience, as our ears are exposed often to too many, too loud or too meaningless sounds. Trying to ignore them, however, makes even less sense. Since we cannot close our ears, we cannot help hearing all sounds. No matter how hard we try to ignore the input, the information enters the brain and wants to be processed. Physically and psychically, we still have to compensate for any noise even if our ears perceive it unconsciously. In addition and most importantly, we desensitize our aural faculties by shutting out sounds and thereby not allowing our ears to exercise their

natural function.

A soundwalk can be designed in many different ways. It can be done alone or with a friend (in the latter case the listening experience is more intense and can be a lot of fun when one person wears a blindfold and is led by the other). It can also be done in small groups, in which case it is always interesting to explore the interplay between group listening and individual listening by alternating between walking at a distance from or right in the middle of the group. A soundwalk can furthermore cover a wide area or it can just centre around one particular place. No matter what form a soundwalk takes, its focus is to rediscover and reactivate our sense of hearing.

The first soundwalk can be done anywhere, at any time, and as often as desired. For the sake of intensity it may be wise to limit the walk initially to a small area or even to one particular spot. Start by listening to the sounds of your body while moving. They are closest to you and establish the first dialogue between you and the environment.


Richard Windeyer: Soundwalk Guide

a slow-to-moderate walking pace will help you to focus on listening, with a more relaxed frame-of-mind

listen with your eyes closed whenever possible,

what is the loudest sound you can hear?

what is the quietest sound you can hear?

listen for buildings that "hummm"

listen for "sounds of commerce"

can you hear the sound of your own footsteps?

how many times do you hear music playing?

would you have to shout to be heard?