zur Indexseite Musiktheaterpädagogik S 2003/04
Blatt 9
Ronja Räubertochter
Grafik von Martin Hümme (Schüler am NGO)
Ablauf des Projekts
Vorbereitungen in einem didaktischen Seminar im April 1994 mit der Erstellung eines eigenen Bühnenbuchs und ersten Liedertexten
19 Studierende der Fächer Kunst und Musik und 24 Schülerinnen und Schüler der Theater-AG (7. – 13. Klasse) des Neuen Gymnasiums in Oldenburg (NGO), erstes Treffen im April 1995
Proben über ein Jahr inklusive einer dreitägigen Kompaktphase und mehreren Probenwochenenden
Warum Ronja Räubertochter?
"Ronja Räubertochter" spricht verschiedene Altersgruppen an.
Das Räuberleben mit seiner Vitalität bietet vielerlei Möglichkeiten für theaterwirksame Umsetzungen mit musikalischen und tänzerischen Elementen.
Das Stück zeigt Ansatzpunkte für eine Auseinandersetzung mit der Vater- und Mutterrolle sowie Ablösungsprozesse zwischen Eltern und Kindern. Die Trennung von den Eltern und das Leben in der Natur bedeutet nicht nur Freiheit, sondern auch Angst und Konflikte.
Die Natur mit ihren Phantasiegestalten übt eine große Anziehungskraft sowohl auf Spielende als auch auf Zuschauende aus.
Es gibt keine veröffentlichte Musiktheaterfassung und es bestand damit die Möglichkeit, ganz unvoreingenommen - ohne "Schielen" nach dem großen Vorbild - szenisch und musikalisch an einer guten Vorlage zu arbeiten.
Figuren und Rollenbesetzungen
Fünf Hauptpersonen: Ronja, Birk, Ronjas Eltern Lovis und Mattis sowie Glatzen-Per. Grundidee des Projekts war, alle Sprechrollen ausschließlich mit Schülerinnen und Schülern der Theater-AG zu besetzen, die auch die Solo- und Gruppenlieder singen sollten.
Integration der Musik in das Stück, Aufhebung der Trennung zwischen Musikern und Schauspielern: Musiker als Räuber ohne Sprechtexte.
Die beiden einzigen Schüler übernahmen die Rollen von Mattis und Borka.
Zwei Zweierbesetzungen interessierten sich für die Rollen von Ronja und Birk. Daraus resultierten zwei Doppelbesetzungen, um keine unnötige Konkurrenz aufkommen zu lassen. Die Probenbedingungen wurden dadurch erschwert, denn alle Szenen mußten doppelt geübt werden. Für die anderen SpielerInnen bedeutete dies vor allem Flexibilität und Geduld. Sie mußten sich auf die spezifische Spielweise der unterschiedlichen Besetzungen einstellen.
Eine Gruppe jüngerer Schülerinnen, die neu in in die Theater-AG gekommen waren, übernahmen die Rollen der Waldwesen (Rumpelwichte und Graugnome).
Vorüberlegungen zur Musik
Das fünfköpfige Kompositionsteam mußte sich auf einen gemeinsamen Musikstil einigen: die Melodien sollten so eingängig sein, dass sie von Kindern und Jugendlichen ohne Gesangerfahrung gesungen werden konnten - eine wichtige Bedingung für die Anwendbarkeit in der Schule.
Für die Besetzung der Instrumentalgruppe bildete die Beweglichkeit der Musiker auf der Bühne ein entscheidendes Kriterium.
Aus den vorhandenen Instrumenten ergab sich folgende Besetzung: Flöte, Klarinette, Altsaxophon, Akkordeon, Gitarre, Cello, Kontrabaß und Perkussion.
Szenische und musikalische Improvisation zum Räuberleben
Der Einsatz von Musik szenischen Improvisationen eröffnet eine neue Ebene von Erfahrungen: SchauspielerInnen lernen, sich auf ein Musikinstrument einzustellen; MusikerInnen, auch die, die bislang wenig Erfahrung mit Improvisationen haben, üben sich im freien Umgang mit Musik.
Die improvisierte Musik beeinflußt die szenische Improvisation und umgekehrt. Die Szene bekommt allmählich Gestalt und kann weiter dramaturgisch und kompositorisch bearbeitet werden.
In der Anfangsphase der Proben wurde anhand von Situationen aus dem Räuberleben szenisch und musikalisch improvisiert. Einzelne Studierende leiteten diese Improvisationen an. So wurde z.B. den MusikerInnen auf kleinen Kärtchen die Aufgabe gegeben, bestimmte Bewegungen und Stimmungen darzustellen, die in einer Räuberbande vorkommen, wie "eilig gehen", "humpeln", "träge herumsitzen", "vor Kraft strotzen", "wütend schreien", "prahlen" u.ä. Gleichzeitig wurden jedem Instrument zwei bis drei SchauspielerInnen zugeordnet, die ohne zu wissen, was die Karte vorgab, zu den Tönen des Instruments darstellend improvisieren sollten. Genauso wurde auch umgekehrt gearbeitet; die SchauspielerInnen bekamen Arbeitsanweisungen (z.B. verschiedene Gangarten) und die MusikerInnen mußte dazu improvisieren.
Die Musik entwickelte sich parallel zur Probenarbeit und wurde der Gruppe durch dieses Vorgehen "auf den Leib geschrieben". Die Liedertexte wurden in Zusammenarbeit des Kompositionsteams und der Texterinnen immer wieder überarbeitet. Einige Stücke ohne Gesang wurden komplizierter gestaltet - wie z.B. das Ronja-Motiv, das Ronja auf ihrer Entdeckungsreise in den Wald begleitete, der Tanz der Graugnomen, der erst in der letzten Probenphase als stimmungsvoller Anfang des zweiten Akts entstand und der Gesang der Unterirdischen, ein atonaler dreistimmiger Frauengesang.
Am Anfang des Stücks wird mit einem Lied die Vorgeschichte erzählt. Es bot sich an, dass sein Refrain auch gleichzeitig ein ständig wiederkehrender "Hit" der "Mattis-Bande" sein konnte. Nach zahlreichen Improvisationen zum Festgelage der Räuber ergab sich, dass die Wendung "Potz, Blitz und Pestilenz" ein zugkräftiges Schlagwort für die Räuber war.
Gesangs- und Bandproben
Intensive Einstudierungsphase nur mit Klavierbegleitung, in der anhand von Passagen aus den jeweiligen Liedern auch generelle Übungen zur Atemtechnik gemacht wurden.
Probleme mit der Lautstärke in den Bandproben, die nicht mit technischen Mitteln (Sendemikrophone o.ä.), sondern über die Dynamik der Band evtl. durch Reduzierungen der Arrangements gelöst werden sollten.
Ständiges Wechselspiel zwischen der Ermutigung, lauter zu singen und der Aufforderung an die Band, noch leiser zu spielen.
Ein musikalisch ausgewogenes Verhältnis zwischen Band und Sängerinnen gelang erst kurz vor der Premiere. Bewundernswert war der Mut der Schülerinnen, solistisch mit Bandbegleitung zu singen.
Fazit
Mit über vierzig Mitwirkenden war das Projekt "Ronja Räubertochter" durchaus ein Wagnis. Die Theater-AG, die bislang in einer geschlossenen Gruppe unter einer Leitung gearbeitet hatte, musste sich auf neue Probenformen einstellen. Es gab plötzlich mehrere RegisseurInnen, und während der Proben saßen zusätzlich Studierende im Zuschauerraum, die die Probenarbeit protokollierten und filmten.
Eine der wichtigsten Aufgaben der beiden Leiter des Projekts war es deshalb, immer wieder die Chancen einer Teamarbeit zu betonen und Konflikte aufzugreifen und zu diskutieren. Gemeinsame Runden mit allen Beteiligten waren dazu ein gutes Mittel. Erst in den letzten Wochen der Zusammenarbeit und vor allem auch durch die fünf ausverkauften Aufführungen vor begeistertem Publikum entwickelte sich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.
Siehe auch: http://www.uni-oldenburg.de/musik/texte/ronja.html