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Die folgende Glosse schrieb ich für einen Werbeprospekt des Lugert-Verlags im jahr 2014 in Absprache mit Dieter Lugert.

Aufbauender Musikunterricht - Ein Nachruf

Auch Irrwege führen zum Ziel - vom Ende eines Hype

Mit großem Trara hat vor genau 20 Jahren alles begonnen. Nach dem PISA-Schock wurde den geschundenen Musiklehrer/innen ein neues Selbstbewusstsein verordnet. Die Wunderwaffe gegen Stundenkürzungen, ausfallenden Unterricht und eine Auslagerung des Klassenunterrichts in den AG-Bereich hieß "aufbauender Musikunterricht" (AMU). Hier sollte, ähnlich wie in den "harten" Schulfächern, systematisch vom ersten bis zum letzten Schuljahr "Musikverstehen" eingeübt werden, und das alles entlang einem Curriculum, das die Synapsen des Nervensystems optimal vernetzt. In dicken Büchern folgten 2010 detailgenaue Sekundenbeschreibungen von Unterrichtsabläufen.

Recht schnell wurde das „Konzept“ allerdings auf 10 Minuten pro Stunde und ein systematisches Üben von musikalischen Fertigkeiten reduziert. Als sich die Lücken im „Konzept“ offenbarten, wurde es mit der nun gar nicht der Logik des aufbauenden Unterrichts entsprungenen Zielsetzung "Kulturerschließung" gekrönt. Doch erstens entspringt Kulturerschließung nicht zwingend dem AMU oder setzt ihn gar voraus, wie andere kulturerschließende Konzepte z.B. aus dem Bereich der interkulturellen Musikerziehung zeigen. Und zweitens kam es selbst bei den hart gesottenen Aufbauer/innen selten zu diesem krönenden Abschluss, wie Georg Brunner unlängst auf der Bundesschulmusikwoche 2012 bedauernd festgestellt hat. Der AMU blieb in der Praxis beim sinnentleerten und zumeist entlang altbackener Musikstücke praktizierten Üben von Rhythmen, Skalen und "Audiationen".

Den freudigen Abgesang auf den AMU hat Werner Jank selbst mit -der jüngsten (fünften) Neuauflage des Handbuchs "MusikDidaktik" (2013) angestimmt. Da wurden die Kapitel zum AMU neu formuliert und anhand neuer Prioritäten angeordnet. Nun steht die Kulturerschließung ganz weit vorne und nur noch in einem nachgeordneten Kapitel, quasi in eckigen Klammern, kommen methodische Hinweise auf systematischen Erwerb musikpraktischer Fertigkeiten vor.

Man muss sich klar machen, wie Janks allgemeiner Ansatz dem Paradigma des AMU den Boden entzieht, wenn er schreibt:

„Musikalische Gebrauchspraxen und nicht musikalische Werke sind Ausgangs- und ständiger Bezugspunkt für eine musikdidaktische Perspektive“. Und: „Im Musikunterricht muss es darum gehen, was, wie und warum Menschen gemeinsam oder alleine mit Musik tun – darum, an welchen musikalischen Praxen Menschen auf welche Weisen und mit welchen Motiven und Zielen rezipierend und gestaltend teilhaben“ (These 6.3 und These 5.12).
Das sperrige Kaiser-Wort "Gebrauchspraxis" verdeckt kaum, dass nunmehr dem naiven Klassenmusizieren eine Abfuhr erteilt wird. Denn hier ist das gesamte "Drum Herum" musikalischer Tätigkeit und nicht nur das Tätigsein an sich gemeint. Eben die "Kultur", die erschlossen werden soll. Und wenn das sauber intonierte Musikmachen im Klassenverband nicht mehr höchstes Ziel von Musikunterricht ist, dann ist das gesamte Konzept des aufbauenden Unterrichts tatsächlich auf jene simplen 10 Minuten WarmUp pro Stunde zusammengeschrumpft, wo es -auch hingehört. AMU war nie ein didaktisches Konzept sondern eine verzweifelte Reaktion auf den PISA-Schock und den Wirbel, den Bastian und Rattle mit ihren Transfereffekten hervorgerufen hatten. Der Kern-Musikunterricht sollte sich auf die Sache selbst zurück ziehen. Das lässt sich aber angesichts der Konkurrenz von Bläserklassen, JeKi und Jugend musiziert schwer durchhalten. So kam es zur "Kulturerschließung" und über diesen Umweg sind wir wieder da, wo alles anfing. Inzwischen ist wohl allen deutlich, dass ein Hype noch kein Konzept ist.