logo

Medienkompetenz in der musikpädagogischen Praxis (MeKoMuLe)

Editorial (des Abschlussberichts)

Aufgrund der im Jahr 1998 erfolgten Antragstellung ermöglichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Durchführung einer empirischen Untersuchung der Medienkompetenz von Musiklehrern im Zeitraum 1.4.2000 bis 31.3.2002. Die Entwicklung im Bereich der neuen Technologien der Jahre 1998 bis 2002 war gekennzeichnet durch die Zunahme der deutschen Internetanschlüsse auf über 50%, durch Aktionen wie „Schulen ans Netz“, durch die multimediale Leistungssteigerung von Computern, durch die Möglichkeit, Musik „online“ zu hören, Fernsehen und Radio über Computer zu empfangen und nach und nach auch Handys „netzfähig“ zu machen. Es scheint, als ob sich innerhalb dieser 4 Jahre auch im technologisch eher zurückhaltenden Musiklehrerstand einiges getan hat: Die bildungsbetonte Zeitschrift „Musik und Bildung“ baut seit 2001 ihre Beiträge zunehmend auf ergänzende „Multimedia“, auf einen Online-Dienst und die Medienkompetenz ihrer Leserschaft auf. „Musik und Medien“ ist Fortbildungsthema von Bundeskongressen im Jahr 2000 und 2002. Eine neue Zeitschrift „Musikunterricht und Computer“ kommt 2001 heraus.

Daher ist eine mehrjährige empirische Untersuchung ein heikles Unterfangen. Die Ergebnisse veralten schnell, die Fragen eines Fragebogens verlieren innerhalb von Monaten ihre Aktualität und Bedeutung, die Interpretationen hinken der Alltagstheoriebildung hinterher, die sich auf punktuelle Beobachtungen bei Lehrerfortbildungsveranstaltungen sowie persönlichen Kontakten mit Musiklehrern oder Treffen kleinerer Arbeitskreise (wie dem Oldenburger „Arbeitskreis neue Technologien und Musik“ AnTuM) beruft. Die Vorteile einer empirisch-quantitativen Untersuchungen, objektive und gesicherte Daten ermitteln und interpretieren zu können, schwinden im Trubel der Ereignisse.

Die Untersuchung, deren Ergebnisse im folgenden vorgestellt werden, zeigen, dass derartige Befürchtungen nicht berechtigt sind. Sie zeigen, dass empirische Untersuchungen trotz ihrer Trägheit einen eigenen Wert haben. Im vorliegenden Fall musste die Forschungsgruppe „Medienkompetenz in der musikpädagogischen Praxis“ an der Universität Oldenburg bemerken, dass die Alltagserfahrungen sich doch im wesentlichen auf eine herausgehobene Klientel von Musiklehrern beziehen, während eine etwas breiter angelegte empirische Studie auch Abgründe zu erfassen vermag, die auf Kongressen, Fortbildungsveranstaltungen, im Freundeskreis und in Arbeitsgruppen nicht zum Vorschein kommen. Ein Beispiel: Zum Zeitpunkt der Befragung (Frühjahr 2001) berichteten die Medien täglich über die Prozesse gegen die Musik-Tauschbörse „Napster“, und Jugendliche, die arglos Musik aus dem Netz zu holen gewohnt waren, sahen sich mit Bezeichnungen wie „Kriminelle“ und „Musik-Piraten“ bedacht. Es wäre zu erwarten, dass Musiklehrer in solch einer Diskussion kompetente Diskussionspartner sein könnten. Das juristische Problem ist Musiklehrern aus ihrem Berufsalltag nicht unbekannt, da es GEMA-, Urheberrechts-, Kopier- und ähnliche Eigentumsfragen betrifft, die bei der Erstellung von Arbeitsblättern, MC-Kopien für Kleingruppenarbeit, Aufführungsmaterial des Schulchores usw. eine Rolle spielen. Dennoch mussten wir feststellen, dass nur knapp ein Drittel der befragten Musiklehrer eine exakte Vorstellung von „Napster“ hatte und nur ein sehr kleiner Teil der Musiklehrerschaft die technischen Hintergründe von MP3 und „Download“ kennt.

Wir waren mit der These in die Antragstellung gegangen, dass Musiklehrer nicht „weniger“ oder „mehr“, sondern „anders“ medienkompetent sind als Schüler. Hinter dieser These stand die Hoffnung, dass das verbreitete Gerede von den Kindern und Jugendlichen, die mehr von neuen Medien als ihre Eltern und Lehrer verstünden, erheblich zu modifizieren ist. Wir dachten: Kinder und Jugendliche haben zwar mehr Fertigkeiten im Bedienen gewisser Spiele und Programme, sind aber den Erwachsenen unterlegen, wenn es um die Berücksichtigung der ökonomischen Interessen, um die strukturellen Hintergründe der Medienlandschaft, um längerfristig planvolle Handlungsstrategien und um kreativ-produktive Umgangsweisen mit Medien geht.

Leider wurde der in dieser These steckende Optimismus enttäuscht. Zu vielen Musiklehrern fehlen die notwendigen Voraussetzungen für eine pädagogisch sinnvolle „andere“ Medienkompetenz. Musiklehrer bewegen sich in der bunten Medienwelt überwiegend wie „Normalbürger“ und nicht wie Musik-Profis. Sie spalten ihre musikbezogene Professionalität ab vom alltäglichen Umgang mit Medien. Bereits in der Studentenbefragung konnte festgestellt werden, dass die „Medienmusikpraxis“ in der Lehrerausbildung gleichsam ghettoisiert ist. Medien spielen noch kaum eine Rolle im Studienalltag, sie spielen sich in einem gesonderten, hoch-professionell ausgestatteten Studien-Teilbereich ab. Ähnliches gilt für Musiklehrer und Hochschullehrer in der Musikausbildung. Wahrscheinlich liegt in dieser Abspaltung auch ein Grund für die erstaunliche Ineffizienz von Lehrerfortbildung im Bereich neuer Medien.

Wir hören nach Abschluss der vorliegenden Studie nicht mehr auf das Wehklagen der Musiklehrer über schlechte Ausstattung der Schulen, setzen nicht auf eine mediendurchdränkte Lehrerausbildung und glauben nicht an verstärkte Lehrerfortbildung. Wir sind der Überzeugung, dass die bisherigen Wege einer Propaganda für den Einsatz von Medien - das moralische und vollmundige Werben um mehr Medienkompetenz - nichts nützt. Die Medien und musikalische Medienkompetenz sind nichts Herausgehobenes, von der Lebenswelt Isoliertes. Daher lautet das Fazit der vorliegenden Studie: Sollen medienpädagogisch relevante Fortschritte erreicht werden, so muss die Zielsetzung von Musikunterricht neu durchdacht und so muss vor allem die Frage der Schüler- und Handlungsorientierung viel ernster als bisher genommen werden. Musiklehrer sind dann und nur dann medienkompetent, wenn sie musikpädagogisch kompetent sind.