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Stand 2011, ergänzt 2023

Bis heute kursiert die zum Schlagwort mutierte "eine welt musik lehre" durch die theoretischen Blätter der Interkulturellen Musikerziehung. Es gibt kaum eine "Gesamtdarstellung", in der nicht dies Projekt als "musikpädagogisches Konzept" Erwähnung findet. Oft wird dabei übersehen, dass es sich lediglich um ein Konzept für die Musiklehrer/innenausbildung handelt und nicht um ein Unterrichtskonzept. Mir ist keine Universität oder Musikhochschule bekannt, an der die "eine welt musik lehre" als durchgehendes Prinzip der Musiklehrer/Innenausbildung realisiert wäre. Die Uni Oldenburg ist das keine Ausnahme.

Seit 2006 gibt es auch in Oldenburg wieder die Trennung der Sparten: hier "Musiktheorie" (selbstredend die der traditionellen, abendländischen Kunstmusik), "Jazztheorie", "Musikgeschichte" (selbstredend die des Abendlandes) und da "Musik(en) der Welt" nicht nur als "Musikethnologie", sondern auch als Musik des globalisierten Marktes und seit einigen Jahren auch als Juniorprofessur "Transkulturelle Musikvermittlung". Das "Transkulturelle" wird in die Pädagogik und in Wahl-Studienschwerpunkte der Musikwissenschaft ausgelagert. Meine Kernidee, das Multikulturelle in den Musiktheorie-Bereich "für alle" hinein zu verlagern, ist nicht mehr realisiert.

Ich denke, dieser Zustand ist relativ typisch - zumindest, was die Musiklehrer/innenausbildung betrifft. Natürlich gibt es Studiengänge wie die " Transcultural Studies" an der Musikhochschule Weimar. Solche Studiengängen jedoch betreiben keine Lehrerausbildung und auch kein systematisches Musiktheoriestudium. In Weimar beispielsweise heißen die Studiengebiete Kulturtheorie, Musikwissenschaft / Musikforschung, Archivierung und Angewandte Projekte. - An der Popakademie Mannheim gibt es einen Studiengang "Weltmusik", bei dem Instrumentalunterricht in diversen Instrumenten des Mittelmeeraumes, Indiens und Afrika angeboten wird. - In Hildesheim gibt es ein Kontakt- und Weiterbildungsstudium "musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung", das einer "eine welt musik lehre" am nächsten kommt. -- Aber die "eine welt musik lehre" will ja kein eigenständiger Studiengang sondern ein Konzept für die "stink normale" Musiklehrer/innenausbildung sein!

Die Haupthinterungsgründe einer konsequenten Realisierung sind meines Erachtens (1) die berechtigte Angst der "klassischen" Musiktheorielehrer/innen vor Verlust ihres (oft nur nebenberuflich oder in Teilzeit ausgeübten) Jobs und (2) das Schreckgespenst "Basiserfahrung":

(1) Im Jahr 1999 entwickelten Peter Michael Hamel und ich Pläne für ein "Interkulturelles Musikstudium" auf der Basisi der "eine welt musik lehre" an der Musikhochschule Hamburg in Kooperation mit der Uni Oldenburg. Hermann Rauhe war von der Idee begeistert. Auf einer Sitzung an der Hochschule, zu der alle sieben Musiktheorie-Lehrkräfte erschienen waren, war deutlich zu spüren, dass die Begeisterung des damaligen Präsidenten sich nicht auf die Kolleg/Innen übertragen ließ. Die Idee sollte daher in ein (alternatives) "Kulturdorf", das auf dem Gelände des Rangierteils von Bahnhof Altona geplant war, ausgelagert werden. Nach dem Regierungswechsel (von SPD zu CDU) 2001 in Hamburg wurden alle Kulturdorf-Pläne dem Pestigeprojekt Elbphilharmonie geopfert. Damit war dann auch das "Interkulturelle Musikstudium" auf der Basis der "eine welt musik lehre" gestorben. Hamel wurde von 2001 bis 2012 Vorsitzender der Musiksektion der Freien Akademi der Künste Hamburg bis er sich 2012 nach Aschau am Chiemsee zurück zog, um dort im Privathaus eine "Integrales Musikinstitut" zu gründen.

(2) Die "Basiserfahrung" ist auch im Rahmen der Projekterprobung in Oldenburg nicht so systematisch erforscht worden, wie es nötig gewesen wäre. Zudem geht diese Basiserfahrung, wie der Name sagt, an "die Basis", also das Innerste der Studierenden. Der Esoterik- und/oder Selbsterfahrungs-Verdacht liegt nahe! Und die Vorstellung von Archetypen ist ebenfalls allen liberalen Global-Musikdenker/innen suspekt. Der Vorwurf des Eurozentrismus liegt hier sehr nahe. Die Dankbarkeit, mit der Musikstudierende Kurse, die Basiserfahrungen vermitteln, annehmen, steht in gewissem Widersprucht zu den Spikes, die "normale" Kolleg/innen ausfahren, wenn die Rede auf derartige "Selbsterfahrung" kommt.