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Medienkompetenz in der musikpädagogischen Praxis (MeKoMuLe)

Diskussion: "Zukunftsperspektiven"

Wenn es auch keineswegs überraschend ist, dass Musiklehrer Defizite in den „harten“ technisch-theoretischen Bereichen und im Umgang mit neuen Technologien haben, so stellen sich doch die „weichen“ Kompetenzbereiche nicht besser dar. Geht man davon aus, dass die Musiklehrer, die den umfangreichen Fragebogen ausgefüllt haben, diejenigen Musiklehrer sind, die sich für das Problem Medienkompetenzinteressierten, so erstaunt, dass selbst diese Gruppe weder über hinreichendes allgemeines Wissen über Medienstrukturen noch über spezielle Fertigkeiten hinsichtlich des Umgangs mit medial übermittelter Information verfügt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Forderungen an Aufnahmeprüfungen, an Musiklehreraus- und fortbildung und an Unterrichtsmaterialen gestellt werden können. Die Antwort auf diese Frage setzt aber realistische und realisierbare Vorstellungen von Musikunterricht in, mit und über Medien voraus. Wir stellen im Folgenden vier Modelle zur Diskussion. Die Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Modelle nimmt auf die Ergfebnisse der vorliegenden Untersuchung Bezug.

Zukunftsmodelle

Modell 1: Musikerziehung als medienfreie Enklave

Entsprechend dem Tenor einiger Teilnehmer der Expertenbefragung wäre es denkbar, dass die Hauptfunktion der Musikerziehung in der Stärkung unmittelbarer sinnlicher Erfahrungen jenseits simulierter Medienwelten liegt. Unmittelbare körperliche Erfahrungen in Form von Rhythmus, das Erleben sinnlicher auditiver Qualitäten, deren Zusammenspiel mit der eigenen Muskelaktivität etc. könnte so einen Gegenpol zu simulierten Welten neuer Technologien bilden, in denen Musik sich auf den Umgang mit der Maus oder Tastatur beschränkt. Die eigentliche Medienerziehung könnte in solch einem Modell der Medienpädagogik überlassen werden.

Vorteile

Dieses Modell wäre offensichtlich nicht darauf angewiesen, die Medienkompetenz von Musiklehrernzu verbessern. Da vermutlich alle Lehrkräfte ein primäres Interesse an Musik (also unabhängig von technologischen Umständen) und instrumentaler Musikausübung haben und diese Aspekte während der Hochschulausbildung ohnehin einen Schwerpunkt darstellen, könnte sowohl in der Ausbildung als auch in der Lehre mit einer starken Motivation gerechnet werden. Die Motivation wäre wahrscheinlich gerade in dem Maße höher, in dem die Musiklehrer nicht mit Anforderungen und Ansprüchen nach einer Ausbildung auf dem letzten technologischen Stand belastet ist.

Nachteile

Geht man davon aus, dass Medien in einem noch stärkeren Ausmaß den Alltag kommender Generationen prägen werden als es jetzt bereits der Fall ist, dann dürfte jeder Bereich, der sich dieser Entwicklung konsequent entzieht, über kurz oder lang zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sein. Den kritischen und bewussten Umgang mit Medien wird man kaum dadurch fürdern, dass man sich diesen Entwicklungen verweigert. Solch eine Strategie könnte auch negative Konsequenzen hinsichtlich des Interesses der Schüler haben. Warum sollte man sich an der Schule noch sonderlich für das Fach Musik interessieren, wenn dieses Fach ein Enklavendasein jenseits maßgebender gesellschaftlicher Tendenzen führt. Das Fach Musik schiene dann vermutlich sehr schnell ähnlich skurril, wie es technologiefeindliche religiöse Sekten wie die Amishpeople in den USA sind. Letztlich wäre aber die Schaffung eines technologie-freien Raums als Kontrapunkt zu den simulierten Medienwelten über kurz oder lang sehr schnell selbst eine Simulation, die sich von der Wirklichkeit weit entfernt.

Modell 2: Medien-Schwerpunktthemen im Musikunterricht

Es wäre denkbar, einzelne musikbezogenen Themen als Schwerpunkt im Rahmen des Musikunterrichts zu behandeln. Dazu könnten beispielsweise soziologische Fragestellungen nach dem Einfluss der Musikindustrie gehören oder die Wechselwirkungen zwischen Musik und Gesellschaft bzw. Politik und Wirtschaft. Die eigentliche Medienerziehung wäre in diesem Fall nach wie vor Aufgabe der Medienpädagogik, während die Musikpädagogik nur an solchen Stellen „eingreift“, an denen musikspezifische Aspekte eine Rolle spielen bzw. der Zusammenhang zwischen Medien und Musik betrachtet werden muss.

Vorteile

Medienpädagogik könnte als Bestandteil in die moderne Musikausbildung integriert werden. Das Fach Musik könnte in diesem Sinne den technologischen Herausforderungen der modernen Informationsgesellschaft Rechnung tragen. Darüber hinaus könnten die medienpädagogischen Inhalte professionell an die Bedürfnisse des Musikunterrichts angepasst werden.

Nachteile

Angesichts des mangelhaften Interesses sowohl von Musiklehrern als unter Umständen auch von derzeitigen Musikstudenten, steht zu befürchten, dass das Fach nicht nur an Attraktivität verliert, sondern zudem eine ablehnende Haltung provoziert. Im Rahmen des Hochschulstudiums würden entsprechende Medienmusik-Angebote unter Umständen bloß als Pflichtübungen absolviert, ohne jedoch einen echten Beitrag zur Medienerziehung bzw. zur fürderung der Medienkompetenz zu leisten.

Die Frage „was hat dies noch mit Musik zu tun?“ wäre in diesem Falle sehr Ernst zu nehmen. Das Fach Musik liefe auch hier Gefahr, im Anspruch einer kritischen Erziehung seinen eigentlichen Kern aus dem Auge zu verlieren. Wer den Umschlag der kritischen Musikerziehung, wie sie exemplarisch Wulf Dieter Lugert in seinem „Grundriß einer neuen Musikdidaktik“ 1975 dargelegt hat, in musikpraktiche Betriebigkeit und Unverbindlichkeit, die heute der Lugert-Verlag erfolgreich vertreibt, wahrgenommen hat, wird sich der Gefahr eines rein medienkritischen Musikunterrichts bewußt.

Modell 3: Musikunterricht als Vermittlung musikinformatischen Basiswissens

Unabhängig von der eigentlichen Medienpädagogik könnte sich die Musikpädagogik darauf beschränken, durch die Vermittlung von musikinformatischem Wissen eine Basis zur Beurteilung und Handhabung technologischer Entwicklungen zu bereiten. Das Verständnis der technologischen Grundlagen und Grundkenntnisse im Umgang mit neuen Musiktechnologien sind ohne Zweifel eine Voraussetzung für eine musikspezifische Medienkompetenz. Neben der Bereitstellung dieses Basiswissens könnten die Vermittlung von Medienstrukturen und ihrer Zusammenhänge sowie die Ausbildung analytischer und evaluativer Fertigkeiten der Medienpädagogik anheim gestellt werden.

Vorteile

Einerseits müsste sich die Musikpädagogik nicht mit Themen befassen, die vermutlich von vielen Musiklehrernals fachfremd eingestuft und beurteilt werden. Die Behandlung von Medien in Form von musikinformatischem Basiswissen behielte einen wesentlich deutlicheren Bezug zum Inhalt und Anliegen des Faches. Medienerziehung in Form von Musikinformatik würde den traditionellen Medienunterricht lediglich um einen wesentlichen technologischen Zweig bereichern, behielte jedoch im übrigen seinen unverwechselbaren Charakter.

Nachteile

Einzelne Teile der Medienkompetenz würden bei diesem Modell völlig unberücksichtigt bleiben. Die Entwicklung analytischer bzw. evaluativer Fertigkeiten und die Kenntnisse über allgemeine Medienstrukturen müssten über zusätzliche Angebote bereitgestellt werden. Da nicht sicher ist, ob Lehrkräfte im Rahmen der beruflichen Weiterbildung als auch Studenten im Rahmen des hochschulischen Angebots entsprechende möglichkeiten nutzen, droht offensichtlich die Gefahr, dass wichtige Bestandteile medialer Kompetenzen gar nicht erst erworben werden.

Modell 4: „Guter“ erfahrungsbezogener Musikunterricht

Bezugspunkt des Musikunterrichts ist in jedem Fall der Schüler, seine Lebenswelt, sein Alltag, seine Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte, Probleme und Ängste, sein Körper, sein Aussehen, seine Sexualität usw. usf. „Was und wo hat dies alles mit Musik zu tun?“ wird zur Leitfrage des Unterrichts. Methodische Konzepte hierfür gibt es zur Genüge. In diesen Konzepten spielen Medien eine doppelte Rolle:

Erstens in didaktischer Hinsicht. Die Schüler leben mit Medien. Erfahrungsbezug bedeutet automatisch auch einen Blick auf die den Schüler umgebenden Medien. Eine lebensrelevante Orientierung in den Schüler-Medienwelten ist von gutem erfahrungsbezogenem Musikunterricht zu verlangen. Einen solchen Unterricht inhaltlich zu planen und durchzuführen ist eine Seite der Medienkompetenz von Musiklehrern.

Zweitens in methodischer Hinsicht. Die Medien stellen derart viele methodische Hilfen für eine interessante und handlungsorientierte Unterrichtsgestaltung dar, dass es nur mit Unkenntnis zu erklären wäre, wenn diese Hilfen nicht akzeptiert würden. An erster Stelle stehen die möglichkeiten, Musik zu sammeln („sampeln“) und im Unterricht darzubieten, zu bearbeiten und in die körperorientierte Praxis zu integrieren. Die neuen Medien haben hierfür Labels wie „wav“ oder „mp3“ parat. Einfaches, effektives und lustbringendes Arrangieren, Herstellen von übungsplaybacks und Unterrichts-Lehrhilfen gehören zum Umfeld der Technologie mit der Bezeichnung Midifile, kurz „mid“. Und drittens kann Bild und Ton mittels neuer Technologien enger, schneller, billiger und professioneller als jemals zuvor zusammengeführt werden. für Jugendliche selbst erschwinglich - beispielsweise im 50 Euro teuren Programm „Musik-Video Maker“ von Data Becker.

Ein didaktisch und methodisch „guter“ erfahrungsorientierter Unterricht mit Schülernahen Themen und handlungsorientierter Ausrichtung involviert derart viele Aspekte von Medien, dass er nicht ein hohes Mass an Medienkompetenz auf Seiten der Lehrer erfordert, sondern auch auf Seiten der Schüler schafft.

Vorteile

Der Unterricht ist „gut“. Alle denkbaren Schülerorientierten Unterrichtsthemen sind geeignet, es müssen keine speziellen „Medienthemen“ sein.

Nachteile

„Gutes“ Unterrichten ist nicht leicht, erfordert großen Einsatz und souveräne Medienkompetenz. Die Motivation zur Aneignung dieser Medienkompetenz entstammt aber nicht mehr einem vagen und durchaus fragwürdigen Fortschrittsbegriff oder einem schlechten Gewissen aufgrund eines „Modernitätsrückstandes“ sondern ist schlichtweg der Wunsch, ein erfolgreicher Musiklehrer sein zu wollen, der seinen Job „gut“ macht.

Handlungsstrategien

Die folgenden Anmerkungen zu Handlungsstrategien folgen Modell 4 und beruhen auf den Tatsachen, die die vorliegende Untersuchung hervorgebracht hat.

Grundregel ist: Musiklehrer-Medienkompetenz ist als Teil der allgemeinen Musiklehrer-Kompetenz zu betrachten! Medienkompetenz losgelöst von Musikunterricht braucht es nicht zu geben. Anforderungen an die Medienkompetenz von Musiklehrern kommen nicht von der modernen Informationsgesellschaft oder den Medien – sprich Kirch, Sony, Gates oder Siemens -, sondern vom Musikunterricht, von der Schule, von den Schülern.

Die aktuelle Medienkompetenz von Musiklehrern hat sich, wie die Untersuchung zeigte,entlang der durchschnittlichen Medienkompetenz eines intellektuellen Bundesbürgers entwickelt. Sie ist noch wenig auf den Musikunterricht bezogen. Sie ist nicht musikspezifisch professionell. Dies gilt nicht nur für den Einsatz von Internet und Computer, sondern auch für so alltägliche Handlungen wie Radiohören und Fernsehen,für das Interesse an Medienstrukturen und „angesagten“ Themen in der Jugendmusikkultur. Musiklehrer verhalten sich den Medien gegenüber zwar nicht ablehnend, aber auch nicht wie Musik-Profis. Sie spalten Musikprofessionalität (Komponieren, Klavier spielen, Dirigieren, Musikunterrichten, in Konzerte Gehen usw.) von Medienkompetenz als einer musikprofessionellen Eigenschaft ab.

Die Chancen einer Verbesserung der selbstverständlichen Musikprofessionalität von Musiklehrern durch Medienkompetenz sollten im Vordergrund aller Handlungsstrategien stehen. Die Angst vor Medien geht meist einher mit der berechtigten Frage, ob sich Zeit- und Nerveneinsatz lohnt. Diese Frage kann aber nur im aktiven Umgang und nicht aus einer enthaltsamen „kritischen“ Distanz mit Medien beantwortet werden.

Zum Beispiel: Ist das Noten-Editieren am PC mit anschließendem Ausdrucken wirklich lohnender als das Kopieren eines handgeschriebenen Notenblattes? Ohne aktiven Umgang mit Medien wird diese Frage sicherlich mit „nein“ beantwortet. Bei aktivem Umgang mit Musik am PC indessen wird sich herausstellen, dass die Noten des einmal am PC editierten „Notenblatts“ auch transponiert, in eine Partitur eingefügt, über die Soundcard (zur Kontrolle oder als Playback) abgehört, gegebenenfalls an die Schüler der Klasse per E-Mail verschickt, in ein Schul-Keyboard abspielreif als Midifile geladen, gut auffindbar archiviert und in ein bebildertes und betextetes Arbeitsblatt eingefügt werden können. Die Frage, ob sich Notenedition lohnt, wird bei solcherart Kenntnis anders als zuvor ausfallen.

Das Beispiel zeigt zweierlei: Erstens muss pure Information (aus Werbebroschüren oder Lehrerfortbildungskursen) ergänzt werden durch aktiven Umgang mit den Medien. Zweitens muss sich Medienkompetenz lohnen. Medienkompetenz muß subjektiv gewinnbringend sein.

Konkrete Konsequenzen für die Lehrerausbildung, die Lehrerfortbildung, das pädagogische Schulklima und die Medienproduktion sollen abschließend genannt werden:

Lehrerausbildung

Neue Inhalte wie Popmusikdidaktik, Improvisation, Jugendkulturen, Interkulturelle Musikerziehung, „Musik und Theater/Tanz“ wurden in den vergangenen 25 Jahren nach und nach in die Musiklehrerausbildung aufgenommen. Zugleich wurden die Studiendauern verkürzt (in Niedersachsen von 100 SWS auf 64 SWS) und die Lehrenden-Studierenden-Relationen erhöht (in Oldenburg von 1:20 auf 1:80 für Professoren:Studenten). Es resultiert(e) eine vollkommenen überfrachtung des Studiums einhergehend mit einer überforderung der Studenten und Hochschullehrer.

Wenn zur bereits bestehenden Medienmusikpraxis, die sich derzeit vielerorts auf 4 SWS pro Studium beläuft, auch noch das Studiengebiet „musikbezogene Medienpädagogik“ hinzukäme, so wäre ein weiterer „Papiertiger“ geschaffen, wärde die überforderung der Studierenden wachsen und im Endeffekt der Medienpädagogik ein Bärendienst erwiesen. Neue Studieninhalte hätten nur einen Sinn, wenn alte wegfielen. Aber zu Abstrichen beim Altbewährten ist niemand bereit. Daher können derzeit nicht neue Inhalte oder Fächer hinzukommen, sondern müssen neue Ziele im Rahmen der alten Inhalte und Fächer formuliert und neue Methoden in alten Lernbereichen eingeführt werden.

Ein bereits vor Jahren in Oldenburg diskutierter und an der Musikhochschule Hannover teilweise verwirklichter Vorschlag betraf die Integration neuer Technologien in den Ausbildungsbereich Musiktheorie, Arrangenment und Komposition. Im Rahmen von Pflichtveranstaltungen können hier die Studierenden den Umgang mit gängiger Musiksoftware und den Kommunikationsmöglichkeiten des Internets lernen. Dies ist erfahrene und „praktische Medienpädagogik“. – Ein zweiter Weg ist die Einbeziehung moderner Forschungs- und Präsentationsmethoden in musikwissenschaftliche Veranstaltungen. Samplingtechnologien, Klanganalysen, Datenbank-Recherchen, Videoclip- und Filmmusikproduktionen oder schlicht medienkritische Analysen des Marktangebots können handlungsorientiert an den Medien selbst stattfinden.Hierbei erarbeiten sich Studierende medienpädagogische Inhalte „by doing“ ohne zusätzlichen Zeitaufwand. – Ein dritter Weg ist die Modernisierung von Inhalten und Methoden musikdidaktischer Theorieveranstaltungen. Ausgangspunkt der Didaktikausbildung sollte weniger die Geschichte der Musikpädagogik oder der Kanon didaktischer Modelle zwischen Alt und Richter, sondern vielmehr die aktuelle Diskussion in musikpädagogischen Fachzeitschriften, auf den vds-Bundesschulmusikwochen und Fortbildungskongressen des AfS, in einschlägigen Internet-Foren und im Arbeitskreis Musikpädagogische Forschung (AMPF) sein. Hier wird seit längerem systematisch mit Midifiles, seit kurzem mit „hybriden“ CD ROMs und Online-Diensten gearbeitet, hier werden aber auch einschlägige Theorien der Medienwissenschaften diskutiert und sogar schultaugliche Geräte besprochen und vorgeführt. Eine aktive Teilnahme an der aktuellen Fachdiskussion würde den Musiklehrerstudierenden nicht nur einen Einblick in die Probleme des heutigen Musikunterrichts verschaffen, sondern auch einen Eindruck der lebhaften Fachdiskussion um neue Medien vermitteln.

Es ist zu erwarten, dass die Integration von Medienwissen, Mediennutzung und Medienreflexion in den bislang medienfernen Studienalltag die Abspaltung der beruflichen Professionalität von der privaten Mediennutzung, die die vorliegende Unterschung gezeigt hat,aufheben wird. Zumindest im Berusfeld „Musikstudium“ gäbe es die Spaltung in Medien und Musik nicht mehr.

Lehrerfortbildung

Zur Zeit scheint die Lehrerfortbildung die Hauptstätze bei der Erhöhung der Medienkompetenz von Musiklehrern zu sein. Wie bereits erwähnt ist aufgrund der Untersuchungsergebnisse die Effizienz von Fortbildung anzuzweifeln. Viele Fortbildungsveranstaltungen laufen nach dem ritualisierten Schema von Selbsterfahrungs-Workshops ab: Musiklehrer wollen eine psychische Beratung beim Abbau ihrer Computer-ängste erhalten und kleiden dieses Begehren in das Gewand einer sachbezogenen Fortbildung. Auf dem Kurs wird ihnen klar gemacht, wie gut Profis mit der neuesten Technologie umgehen können und dass sie selbst (als Anfänger) mit wenigen Mausklicks einen pfiffigen Popsong einem vorbereiteten Supercomputer mit vorinstallierter Software erstellen können. Mit einer Mischung aus Mut, Wut und abergläubiger Hoffnung sowie in der Tasche einer CD ROM, die neben dem selbst erklickten Popsong zahlreiche Computerprogramme enthält, verlässt der Musiklehrer die Fortbildung. Zu Hause verweigert der PC aufgrund einer falschen Windows-Version oder zu kleiner RAM-Kapazität die Installation eben des Programms, das den pfiffigen Popsong hervorgebracht hat. Binnen Kurzem ist die ursprüngliche Angst in gesteigerter Form wieder da...

Ein Weg aus diesem Kreislauf der Verzweiflung und Entmutigung ist weniger eine bessere Fortbildungsveranstaltungsdidaktik oder ein Sonderangebot eines schnelleren Computers bei Media Markt, sondern vielmehr ein erneuertes Fortbildungssystem. Die neuen Medien haben die Eigenschaft, dann „ganz einfach“ zu wirken, wenn sie in kleinsten Schritten in den Alltag integriert sind. Anstelle der zentralen Fortbildungsveranstaltungen, in denen die neuesten Errungenschaften der Medien angepriesen werden,>müsste es lokale Netzwerke von Freunden, Bekannten und Kollegen geben, die auf der aller untersten Ebene miteinander kommunizieren. Fast jeder Musiklehrer hat in seinem privaten oder beruflichen Umfeld einen Menschen, der im Hinblick auf eine neu-technologische Lösung eines Alltagsproblems kundiger ist als er selbst. Und jeder hat einen Bekannten, der etwas von ihm lernen könnte. Dies „kleine Know How“ ist Goldes Wert.

Ein diesem Gedanken geschuldetes lokales Fortbildungs-Netzwerk (das in Kreisen Jugendlicher und Kinder ja erprobte Praxis ist) setzt dreierlei voraus: der einzelne Musiklehrer muss darüber informiert sein, wer was kann, und einschätzen, was er selbst kann und anzubieten hat; er muss den Mut aufbringen zu fragen, Schwächen und Unkenntnis einzugestehen (ohne sich umgekehrt als Technikfeind zu brüsten); und er muss die Zeit aufbringen, sich ein paar Stunden mit Freunden oder Kollegen hinzusetzen und eine ganz konkrete Aufgabe zu lösen. Ein geeigneter Rahmen für ein derariges lokales Fortbildungsnetzwerk wäre eine „Know How-Börse“, die sich auf eine enge geographische Region beschränkt.

Ein Modell eines solchen Netzwerkes ist der von Niels Knolle 1994 gegründete „Arbeitskreis Neue Technologien und Musikunterricht“ (AnTuM), in dem sich in regelmäßigen Abständen Musiklehrer aus der Region Bremen-Oldenburg gegenseitig vorführen, welche Verfahren sie erfolgreich im Unterricht oder bei der Vorbereitung anwenden. Der Kreis umfasst 50 Musiklehrer, von denen sich jeweils circa 20 treffen. Ein zweites Modell ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung als „fachinterne Fortbildungsreihe“ (siehe 4.1.2) erprobt worden. Hier ist das Modell auch eine Alternative zu den an der Universität zentral angebotenen Fortbildungsveranstaltungen zum Einsatz von Multimedia in der Lehre. Das Fortbildungsprogramm (Tabelle 6) zeigt, dass ein fachfremder, zentraler Veranstalter nicht die fachspezifischen Bedürfnisse hätte befriedigen können.

Das pädagogische Klima an Schulen

Die Idee des lokalen Fortbildungsnetzwerkes ist nicht auf die meist kleine Gruppe von Musiklehrern einer Region beschränkt. Sie kann und sollte eigentlich von der Schule selbst ausgehen, an der der Musiklehrer arbeitet. Hier kann das Modell interdisziplinär praktiziert werden, wobei vor Computerspezialisten oder Informatiklehrkräften gelegentlich gewarnt werden muss. „Spezialisten“ sind nicht die optimalen Mitglieder eines lokalen Fortbildungsnetzwerkes.

Die Voraussetzung für eine erfolgreiche übertragung des Netzwerk-Gedankens auf eine einzelne Schule oder einen engen Schulverbund ist ein entsprechendes pädagogisches Klima an der Schule. Hierunter ist zu verstehen, dass die Schulleitung keinen Druck auf die Fortbildungswilligkeit der Musiklehrer ausübt, keine Zeitpläne vorgibt, die nicht mit den Alltagserfordernissen des Unterrichtens zusammenpassen, die Fortbildungsaktivitäten nicht extern abfragt oder gar bewertet. Bekanntlich sind die Massnahmen, die derzeit zwecks Leistungssteigerung an Schulen diskutiert werden, in diesem Sinne ausnahmslos kontraproduktiv. Die Bildungsminister und andere schulpraxisferne Personen, die sich derzeit berufen fühlen, das Modell der konkurrierenden Marktwirtschaft auf den Bildungssektor zu übertragen, erweisen der Fortbildung und insbesondere der Medienpädagogik keinen guten Dienst.

Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, nützen Appelle und moralische Reden über den „Modernitätsrückstand“, die „moderne Informationsgesellschaft“ oder einen „Anschluss an den Weltstandard“ einem einzelnen Musiklehrer nichts. Er erwartet Hilfe bei der Bewältigung der kleinen Probleme des Unterrichtsalltags. Und nur hier kann eine effektive Lehrerfortbildung ansetzen. Denn derart kleine Probleme gibt es in so großer Zahl, dass schnell daraus ein großes Problem wird. Verweigerung, Angst, Zynismus oder Aggressivität wären die Folge. Und das wäre keine Basis für Medienkompetenz.

Die Medien selbst

Eine ganz entscheidende Ursache für die aus pädagogischer Sicht mangelhafte Medienkompetenz von Musiklehrern ist, wie in Teil 5 zwischen den Zeilen immer wieder angesprochen, die Erscheinungsweise der Medien selbst. Die Kommunikations-Massenmedien (Radio, Fernsehen, Internetprovider) sowie die gesamte Musikindustrie sind gar nicht an rundum medienkompetenten Nutzern interessiert. Sie sind an Nutzung interessiert, an Konsum und Umsatz. Nicht jedoch an Menschen, die kritisch auswählen, Inhalte hinterfragen, Interessen entlarven, gelegentlich bewußt „nein“ sagen und auch mit einem langsameren Textverarbeitungssystem ohne blinkende Büroklammern und dümmliche Werbebanner auskommen können. Die „Medienmacher“ haben ein anderes Verständnis von Medienkompetenz als die Musikpädagogik. Und sie setzen alles daran, dass sie ihr Interesse durchsetzen.

Seit langem fehlt ein schlackenlos einfacher Musik-Computer wie es vor 10 Jahren der Atari ST gewesen ist. Das heute auf viele MB aufgeblähte, permanent absturzgefährdete und mit mehreren hundert für Musiklehrer irrelevanten „Features“ ausgestattete Musikprogramm „Cubase“ ist hervorgegangen aus dem Programm „Steinberg 24“. Dies Programm gab es in Hardware-Form: ein kleines Kästchen, das zwei MIDI-Ein- und Ausgänge aufwies, wurde auf den „Extension-Port“ des Commodore 64 gesteckt und verwandelte den C 64 in einen Musikcomputer. Es gab kein Programmladen, kein Hochfahren oder Abstürzen. Schaltete man den C 64 ein, war das absturzsichere Programm sofort „da“ wie an einer Playstation und arbeitete in 24 MIDI-Stimmen unbeirrt (bis heute). Welcher Musiklehrer benötigt wirklich mehr als 24 Stimmen, mehr als 2 MIDI-Ein- und Ausgänge ? Welcher Musiklehrer träumt nicht von solch einem Wundergerät – das es vor 16 Jahren auf dem Markt gab!

Dies Beispiel der Musiksoftware-Entwicklung ist prototypisch für die Hindernisse, die die Medien selbst der Medienkompetenz von Musiklehrern in den Weg legen. Den Musiklehrern wird es systematisch schwer gemacht, sich auf musikalischem Wege mit musikalischen Bedürfnissen und musikalischem Denken einem PC anzunähern. Es gibt weder Programme, die im Hinlblick auf die Bedürfnisse von Musiklehrern „abgemagert“ und zugleich einigermassen professionell aufgemacht sind. Die „großen“ Musikproramme wenden sich durch einen Bombast an Nebensächlichkeiten zugleich an musikalisch Regredierte, der Musiktheorie und Notenschrift Unkundige, die rezepthaft möglichst schnell gängige Musikproduktionen wünschen. Ohne diese Zielgruppe diskriminieren zu wollen – es muss einfach akzeptiert werden, dass dies nicht die Zielgruppe „Musiklehrer“ sein kann.

Auch auf dem Hardware-Sektor zeigen die Medienmacher wenig Interesse an der aktuellen musikpädagogischen Situation und Diskussion. Wosind die Medien, die den Musiklehrern bei der Bewältigung der schwierigen Alltagsaufgaben im Bereich „interkultureller Musikerziehung“, „Musik und Tanz“, „Musik und Szene“, „haptische Kreativität“, „Sozialverhalten“, „Improvisation“ oder „Kommunikation“ im nicht-virtuellen Alltag behilflich sind? Wo sind die Interfaces, die die Griffigkeit eines Orff-Xylophons haben, wo ist das Musik-Handy, mit dem sich Gruppenimprovisation bewerkstelligen lässt, und wo ist das Billigfunkgerät von der Gängigkeit eines Transistorradios, das wirklich globale interkulturelle Kommunikation mit Kindern aus Nicaragua oder aus den Favelas Brasiliens ermöglichte?

Diese Forderung an die Medien selbst wird, wie die rhetorischen Fragen zeigen, schnell zu einer sehr politischen Forderung. Es ginge, wenn diese oder ähnliche Forderungen Ernst genommen würden, nicht mehr um Gewinne, Aktien, Börsenwerte, um Einschaltquoten, Werbeeinnahmen und Prozesse gehen harmlose Jugendliche als „Musik-Piraten“. Es ginge dann um unsere Schüler und Musiklehrer, um pädagogik und Medienkompetenz, um die Menschen der ganzen Welt.